Um sektiererische Enge zu sprengen

Vor 60 Jahren: Die Gründung der Freien Deutschen Jugend

  • Michael Herms
  • Lesedauer: 7 Min.
Vor 60 Jahren, so weisen es Kalendarien und Abhandlungen aus, wurde die FDJ gegründet. Dabei passierte an jenem 7. März 1946 nichts anderes, als dass die Sowjetische Militäradministration einem Antrag zur Bildung der Freien Deutschen Jugend zustimmte. Die eigentliche Gründung vollzog das zu Pfingsten 1946 in Brandenburg tagende I. Parlament. Es verabschiedete »Grundsätze und Ziele der FDJ«, ein Statut, wählte einen überparteilich zusammen gesetzten Zentralrat und verkündete mit den vier »Grundrechten der jungen Generation« ein beachtliches jugend- und sozialpolitisches Programm, das der vom Krieg und von der NS-Ideologie stark gebeutelten Jugend Perspektiven bot.

Grünes Licht aus Moskau
Viele Delegierte hatten in den Monaten zuvor bereits in antifaschistischen Jugendausschüssen gewirkt. Diese entstanden in der SBZ auf der Grundlage eines SMAD-Befehls vom 31. Juli 1945 und einer strategischen Orientierung der KPD. Die Partei hatte in ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 die Errichtung eines »antifaschistisch-demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik« zum Gesellschaftsziel erklärt und im Juli des Jahres mit den anderen neu zugelassenen Parteien den »antifaschistisch-demokratischen Block« gebildet. Für die künftige Jugendpolitik und deren organisatorische Verankerung hatte Wilhelm Pieck bei einem Besuch in Moskau notiert: »Jugendausschüsse, Jugendkader 1 Monat schulen, Schaffung freie Jugendorganisation«. Dementsprechend erklärte Walter Ulbricht am 25. Juni 1945 den Verzicht auf eine Neugründung des KJVD und orientierte stattdessen auf die Schaffung überparteilicher, antifaschistischer Jugendausschüsse. Angebunden an die Volksbildungsämter, sorgten sich diese um die Linderung der Notlagen von Kindern und Jugendlichen, um Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitgestaltung, um langsame Überwindung der tief sitzenden NS-Ideologie und der Folgen von Krieg, Umsiedlung, Elternlosigkeit.
Im September 1945 entstand ein Zentraler Jugendausschuss für die SBZ. Dessen Leiter, KPD-Jugendsekretär Erich Honecker, formulierte in der Erstausgabe der Zeitschrift »neues leben« am 1. November 1945 einen Aufruf »An die Freie Deutsche Jugend«. Das Blatt führte den Untertitel »Zeitschrift der Freien Deutschen Jugend«.
Im Dezember 1945 fand in Thüringen eine »Landeskonferenz der Freien Deutschen Jugend« statt. Doch erst Anfang Februar 1946 brachte Walter Ulbricht aus Moskau grünes Licht für die Schaffung der FDJ in der SBZ mit. Wenige Tage später trafen sich Jugendfunktionäre der KPD, der SPD, der CDU und der beiden großen Kirchen. Sie unterzeichneten den Gründungsantrag und einigten sich über die Zusammensetzung einer künftigen Leitung. In den Westzonen entstanden zu dieser Zeit ähnliche Jugendgruppen, teilweise mit der Bezeichnung »Freie Deutsche Jugend«. Trotz Beschränkungen von Seiten der Alliierten war es erklärtes Ziel, die FDJ als gesamtdeutschen Verband zu entwickeln. Die weitere Geschichte der FDJ ist bekannt. Weniger bekannt ist eine ihrer historischen Wurzeln, auf die hier eingegangen werden soll.

Britische Grassroots
Dem Brandenburger Parlament lagen 20 Grußschreiben aus dem Ausland vor, davon 15 allein aus Großbritannien! Deren Absender verbanden mit einer FDJ bereits konkrete Vorstellungen, die aus der Arbeit von jungen Deutschen herrührte, die sich dort im Kampf gegen Nazideutschland Achtung und Anerkennung erworben hatten, vor allem in einer Organisation namens »Freie Deutsche Jugend«. Die meisten Jugendlichen in der Brandenburger Stadthalle erfuhren von deren Existenz erst durch diese Grußworte aus Großbritannien.
Die Gründung der FDJ in Großbritannien wurzelte in der Geschichte der Komintern. Auf deren Volksfrontbeschlüsse reagierte die KPD im Oktober 1935 mit der »Brüsseler Konferenz«. Dort bemängelten Anton Ackermann und Walter Hähnel die sektiererische Enge des KJVD und plädierten für eine breite »Freie Deutsche Jugendbewegung«. In mehreren Exilländern versuchten junge Kommunisten fortan, die Bereitschaft anderer Jugendgruppierungen zu gemeinsamen antifaschistischen Aktionen für die Schaffung überparteilicher Organisationen zu nutzen. Dabei mussten alte Trennlinien überwunden und politische Meinungsunterschiede zu aktuellen Ereignissen ausgehalten werden, etwa im Hinblick auf die Bekämpfung linkssozialistischer Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg oder die Moskauer Schauprozesse. Ende 1935 bildeten in Paris etwa 100 Jungkommunisten, Mitglieder der SAJ und des SJVD eine »Aktionsgemeinschaft proletarischer Jugendorganisationen«, die ab Juni 1937 die Zeitung »Freie Deutsche Jugend - Diskussionsblätter für eine Freie Deutsche Jugendbewegung« herausgab. Darin erschien ein Aufruf, in dessen Gefolge im Februar 1938 ein Programm und ein Statut angenommen wurden. Auch in Prag vereinbarten im Oktober 1935 Gruppen des KJV und des SJV eine Zusammenarbeit. Unter Einbeziehung von Mitgliedern der Gruppen »Neu Beginnen« und »Linke Sozialdemokraten« erwuchs daraus Anfang 1936 eine Arbeitsgemeinschaft. Ähnlich wie in Paris bremsten indes harte Auseinandersetzungen über aktuell-politische Probleme die Herausbildung einer festeren organisatorischen Form. Dennoch etablierte sich mit der Annahme eines Programms am 7. Mai 1938 eine überparteiliche »Freie Deutsche Jugend«. Einer der führenden Köpfe war der Berliner Jungkommunist Adolf Buchholz. Ihm und 40 weiteren Mitgliedern der Prager FDJ gelang nach dem deutschen Einmarsch die Flucht nach England.
Mitte 1939 initiierte Buchholz in London die Gründung einer gleichnamigen Organisation. Deren weiterer Aufbau wurde durch den Kriegsausbruch zunächst unterbrochen; die in England lebenden männlichen Deutschen wurden interniert. Nach Aufhebung dieser Maßnahmen gelang es, die FDJ zu festigen. Ihr vorwiegend kommunistischer Gründerkreis erweiterte sich durch Aufnahme junger jüdischer Emigranten auf zeitweilig mehrere hundert Mitglieder in einigen Großstädten. Aus dieser Zeit stammt auch das FDJ-Symbol, das Zeichen der aufgehenden Sonne. Entworfen hatte es die Emigrantin Emma Feistmann, eine spätere Schmuckdesignerin.
Die Jugendgruppen trugen gleichermaßen den Charakter von Solidargemeinschaften junger Emigranten wie einer politischen Organisation. Bis 1942 gab die FDJ ein eigenes Blatt heraus, ab 1943 gemeinsam mit der »Freien Deutschen Bewegung« die »Freie Tribüne«. Im Zuge der Formierung der Anti-Hitler-Koalition erlaubten die Behörden ab 1943 »feindlichen Ausländern« den Eintritt in die britische Armee. Etwa 100 FDJler konnten von diesem Recht gebrauch machen. Einige, wie Gerd Moss, Gerhard Oertel oder Fred Dellheim, kamen 1945 in britischer Uniform nach Deutschland, wo sie die Zulassung von Freien Jugendgruppen durch die Kommandanturen erwirkten und deren Arbeit protegierten. Auf der Londoner Weltjugendkonferenz im Oktober 1945 leisteten acht deutsch-jüdische Antifaschisten einen Beitrag für ein differenzierteres Bild der international geächteten deutschen Jugend. Ihre Biografien unterschieden sich erheblich von denen der Millionen ehemaligen HJler und Wehrmachtsangehörigen. Horst Brasch, Vorsitzender der FDJ in Großbritannien, durfte sogar einen Gruß aus Deutschland verlesen, unterzeichnet von Antifa-Jugendgruppen aus Berlin, Hamburg, Heidelberg und neun Städten an Rhein und Ruhr. Gerhard Oertel, inzwischen als britischer Soldat in Düsseldorf stationiert, vertrat die »Freie Deutsche Bewegung« in Großbritannien. Weitere Vertreter waren Max Oppenheimer, der ehemalige Pfadfinderführer und Exilant Eberhard Koebel, der Kaplan Bruno Thausig von der katholischen Jugend sowie die jüdische Emigrantin Traudl Loew. Die Uniform der australischen Armee trug Peter Langstein; als Mitglied einer »Antifaschistischen Jugend aus Deutschland« hatte er sich im Internierungslager freiwillig zur Armee gemeldet. Aus den Niederlanden kam Max Rubinstein, Leiter einer Jugendgruppe »Vereinigung deutscher staatenloser Antifaschisten« in Amsterdam.

Kohls Mathematiklehrer
Zurück zum Brandenburger Parlament, Pfingsten 1946. Eigentlich war der Brief in der Rubrik »Ausländische Organisationen« falsch platziert, hatte doch die FDJ in London auf ihrer 6. Landeskonferenz im April 1946 ihren Anschluss an die FDJ in Deutschland beschlossen. Brandenburg sei auch ihre Konferenz, stellte sie deshalb fest. In der Tat übernahmen viele Englandrückkehrer in der Folge wichtige Funktionen im neuen Jugendverband, so etwa Horst Brie als Landesvorsitzender in Mecklenburg, Adolf Buchholz als Chefredakteur der »Jungen Welt« oder Horst Brasch als Sekretär des Zentralrats. Mitglieder der englischen FDJ bauten den neuen Verband in maßgeblicher Position auch in den Ländern der Westzonen auf, so Jakob Goldberg in Niedersachsen, Fred Dellheim im Ruhrgebiet, Herbert Koch in Hessen oder Gerd Moss in Hamburg. Vielen von ihnen brachte später die »Westemigration« einen zeitweiligen Karriereknick ein, was sicher ebenso schmerzhaft war wie die Tatsache, dass die FDJ in Großbritannien in der FDJ-Historiographie der DDR kaum Erwähnung fand. Erst 1990 erschienen erste wissenschaftliche Arbeiten und 1996 der von Alfred Fleischhacker herausgegebene Band »Das war unser Leben«.
Im Übrigen: Zu den frühen Aktivisten der FDJ zählte auch Helmut Kohls Mathematiklehrer am Ludwigshafener Gymnasium, Studienrat Dr. Otto Stamfort. Er kam aus der »Freien Deutschen Bewegung« in Frankreich und war 1946 bis 1948 ehrenamtlicher Vorsitzender der FDJ in Rheinland-Pfalz.

Der ND-Kundenservice bietet zwei CDs zu je 10 EUR: »Bau auf, Bau auf - Lieder der FDJ« und »Singende Fanfaren. Zentraler Musikkorps der FDJ« sowie zu 7 EUR eine CD »Die Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin. FDJ-Lieder-Abend« (zuzügl. Versandkosten); Bestellungen bis 13.3. videoservice@nd-online.de,
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