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  • Politik
  • Gregor Gysi wurde vom Verleger Oliver Schwarzkopf »als Privatmann« befragt

Hoffnung der andren, eigner Entschluss

  • Lesedauer: 8 Min.

Von Irmtraud Gutschke

Über DDR-Literatur soll er sich äußern und über seinen liebsten DE- FA-Film; welches Sportereignis er moderieren würde, welches seine liebste Rock-Band sei. Christa Wolf, Christoph Hein, «Karbid und Sauerampfer», die Fußball-Europameisterschaft und die Beatles - na und? Ich musste an den Besuch von zwei mir sehr lieben Menschen denken, von denen ich wusste, dass sie sich trennen wollen. Wir redeten über dies und das, und jeder spürte, wie falsch, wie unwichtig das war. Aber über das Wichtige zu sprechen, war so schwer, weil kein Außenstehender die beiden von ihrer Entscheidung abbringen kann.

Nichts gegen die Interview-Idee des Verlegers Oliver Schwarzkopf, der im Herbst ein Buch «Neue Gespräche über Gott und die Welt» von Gregor Gysi herausbringen will. Aber die vielen Leute, die da am Mittwochabend in die Berliner Stadtbibliothek gekommen waren, trieb sie wirklich die Neugier, was Gregor Gysi später mal als Privatmann macht? Oder wünschten sie sich auf die titelgebende Frage «Gibt es ein Leben nach der Politik?» nicht doch insgeheim jene Antwort, die sie an diesem Abend natürlich nicht bekamen. Denn an seinem einmal ver kündeten Entschluss, am 2. Oktober 2000 nicht wieder als Fraktionsvorsitzender der PDS zu kandidieren, lässt Gregor Gysi nicht rütteln. Abgeordneter bleibt er bis zum Jahre 2002. Ob er danach wieder in den Bundestag geht? «Das habe ich nicht vor. Ein etwas anderer Satz als >ich schließe es definitiv aus<.» Bestimmte Dinge könne er heute einfach nicht genau abschätzen. «Und wenn mir am Schicksal der PDS liegt - ist ja auch klar, ich habe 10 Jahre täglich um die 14 Stunden mit ihr zugebracht - da ist mir das ja nicht gleichgültig.» Was er auf keinen Fall tun werde: den Nachfolgern wie eine graue Eminenz aus dem Hintergrund Noten erteilen. «Du kannst Leute im Parteivorstand fragen, die bestätigen, wie extrem ich mich zurücknehmen kann.»

Seit 1989 im Rampenlicht. Scheu, mit der Tochter ins Freibad zu gehen, weil er es blöd findet, in Badehose von Hobbyfotografen belästigt zu werden. Mit 52 noch mal auf ein anderes Gleis - man ver steht, das hat seinen Reiz. In welchem Bereich er tätig werden will, das hat er noch nicht entschieden. Aber da sind immer Leute, die nach Veranstaltungen zu ihm kommen (auch bei dieser war es so) und sagen: Bleib!

Wenn er eine Rede hält oder auch nur Fragen beantwortet wie an diesem Abend auf dem Podium, da merkt man, wie der Auftritt ihm Spaß macht. Und manche, die nicht so reden könnten, neiden ihm dann vielleicht dieses Spielerische, diesen Glanz, diese Unangreifbarkeit. Aber es ist eigentlich das Authentische, das fasziniert: Dass der Mann nicht in Rastern denkt, dass er auch Unerwartetes sagen könnte, viel Persönlicheres, als es sonst Politiker tun. Und deshalb ist es kein Spiel, deshalb ist er eben letztlich so unangreifbar nicht.

Dass die Leute ihn bei seinen ersten Auftritten im Eichsfeld 1990 angespuckt haben, dass er mit seiner Stimme kaum gegen den Krawall ankam, das hätte er noch irgendwie verstanden, sagt er. «Sie meinten nicht mich, ich wurde für Geschichte haftbar gemacht.» Schwerer war es zu ertragen, im Bundestag systematisch aus politischen Gründen verletzt zu werden. Das war Ritual, entsprach keiner wirklichen Leidenschaft. «Du weißt, du hast in der Sache Recht, und die anderen wissen es auch. Sie reagieren nur so, weil es von der PDS kommt.» Und dann müsse man noch so tun, als ob es einem nichts ausmachen würde, denn wenn man Ver letzung zeigt, würde man sie nur noch mehr anstacheln.

Politiktheater. Kein Wunder, wenn einer da nicht mehr mitmachen will. Ödes Rollenspiel, Gegeneinander-Agieren aus Prinzip, statt miteinander Lösungen zu suchen. - Ob er Waigel schon mal zum Bier eingeladen habe, fragt Oliver Schwarzkopf. Schon früher auf dem Tanzsaal habe er es vermieden, sich einen Korb zu holen, antwortet Gysi. Freilich würde er sich wünschen, dass es jenseits der Parteien Verständigung in Sachfragen geben, dass man reden könnte ohne Angst missverstanden zu werden. Aber er habe einsehen müssen, dass das nicht funktioniert. Ob er vor Abgeordneten anderer Parteien auch manchmal Hochachtung habe? Er achte es, sagt Gregor Gysi, wenn Leute die Dinge mit Leidenschaft betreiben und dafür bereit sind, Einschränkungen ihrer Karriere in Kauf zu nehmen.

Und wie steht er zu Oskar Lafontaine? Manche seiner Auffassungen teilt er, andere nicht. Er denke schon, dass man ihn als einen Linken bezeichnen kann, der dieses Gesellschaftssystem so sozial und demokratisch wie möglich gestaltet sehen möchte. Aufforderung zum Denkspiel von Schwarzkopfs Seite: Wie war das mit Lafontaine in der PDS? Gysi: «Das war schon eine spannende Herausforderung. Aber wenn er da wäre, wäre er auch wieder ganz anders.» Und was nutze einem eine SPD, wo nur noch mittig gedacht wird.

Ob er mal mit dem Gedanken gespielt habe, mit Lafontaine eine neue Partei zu gründen, wird er gefragt. Gysi lacht: Eine neue Partei in Deutschland! Da erbst du alle Verrrückten der Gesellschaft. Die machen dir den Laden in einer Woche kaputt. Außerdem: «Niemand kann von mir er warten, dass ich irgendwas mache, was der PDS schaden könnte.»

Apropos Oskar. Gysi schmeißt ja nicht wie er einfach alles hin. Aber wenn es nach einem Frusterlebnis im Bundestag Verletzungen in den eigenen Gremien gibt und vielleicht noch eine Veranstaltung, die daneben geht, käme ihm schon manchmal der Wunsch nach dem, was man «einen Oskar machen» nennt. - Ich denke mir manchmal, wenn die Genossen in der PDS nicht menschlich, mit Verständniswillen - möchte sogar sagen freundlich - miteinander umgehen können, dann ist es bei ihnen irgendwann wie in den anderen Parteien auch, dann sind auch ihre hehren Ziele für die Katz. Bewegen werden wir nur etwas, wenn man uns glaubt.

Talente wie Gysi würden nachwachsen, sagen manche. Sicher mag es viele ver borgene Begabungen geben, aber ein neuer Gysi??

Er redet über politische Kultur- «Ich gehe nicht gegen Personen. Und ich trete nie nach.» Mit Kohl, sagt er, habe er polemisiert, als er noch Kanzler war. Die anderen würden gegenüber der PDS jede Gelegenheit zur Häme nutzen, aber das sei nicht sein Stil.

Stil. Auch andere in der Partei hätten dafür ein Gefühl, sagt mir Gregor Gysi am Ende der Veranstaltung, nachdem er die obligatorischen Autogrammwünsche befriedigt hat, und verweist ausdrücklich auf Roland Claus. Was ihn am meisten stört in den Strukturen der PDS? Es sei die große Gefahr bei den Linken, dass sie nur so lange rechtsstaatlichen Umgang fordern, wie sie selbst darauf angewiesen sind. «Wir müssen Maßstäbe, die wir für uns selber in Anspruch nehmen, auch für unsere Gegner gelten lassen ... Man muss nur einmal über seinen Schatten springen und sagen: Stell dir mal vor, ich wäre jetzt in der Lage des Anderen. Das hat nichts mit sozialistisch oder nicht sozialistisch, das hat einfach was mit politischer Liberalität, mit Rechtsstaatlichkeit und auch mit Anstand zu tun. Und das ist für mich die Grundbedingung für Glaubwürdigkeit, letztlich auch in der Politik.»

Was ihn bedenklich stimme in Gremien der PDS, das sei der Hang zur Verselbständigung der Struktur, der Hang, sich nach innen zu wichtig zu nehmen und dem die Außenwirkung und das reale Eingreifen zu opfern. Wenn es manchen nur um persönlichen oder ideologischen Er folg gehe, störe ihn das. - Ideologische Raster, das läge ja in der Tradition der Linken in Ost und West, sage ich. Aber er hütet sich, das ideologische Herangehen als solches in Frage zu stellen (was haben die Journalisten ihm nicht schon alles um die Ohren geknallt). «Ich bin auch ideologisch», sagt er, «aber ich kann Ideologie nicht zum Selbstzweck erklären, um die Dinge nicht mehr hinterfragen, begründen zu müssen.» Das sei an der Basis auch weniger das Problem, da gehe es immer um konkrete Politik.

«Wenn ich sage, wir müssen Teil der Gesellschaft werden, verstehen andere, wir wollen in den Mainstream», hatte Gysi an diesem Abend coram publico erklärt. Und es zur Verdeutlichung dann noch einmal so formuliert. «Die PDS muss Teil der Gesellschaft sein, um sie verändern zu können, sie darf aber nicht Teil des Mainstreams sein, der ein Teil der Gesellschaft ist und dem alle anderen Parteien unter liegen.»

Was ihn wahrscheinlich besonders nervt: Von den eigenen Leuten missver standen zu werden. Ich kann s mir vor stellen: Er will Verständigung und praktische Konfliktlösung, hat manches schon durchdacht und ist sich sicher, wie s am besten geht, da muss er immer wieder durch ein großes Hickhack hindurch. Manche streiten sich eben gern. Die Menschen sind halt verschieden. Wie das Paar, von dem ich eingangs sprach. Gregor Gysi, der, wie er beiläufig erwähnte, als Anwalt Erfahrungen aus etwa 300 Eheverfahren hat, dürfte diese Situation kennen: Die Frau hält dem Mann ihre Prinzipien vor, will dauernd mit ihm die Beziehungen klären. Er dagegen sehnt sich nach Ruhe und Freiraum, was sie um so mehr verletzt. Nun will er gehen, weil er den Zoff satt hat. Aber die beiden haben Jahrzehnte zusammen gelebt. Wird er mit der Trennung glücklich werden? Kommt sie irgendwann wieder raus aus ihrer verzweifelten Lage?

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