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  • Politik
  • Wiedersehen mit Ines Paulke

Ewig neugierig

  • Christine Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.

Ines Paulke ist eine zartbesaitete, zer brechlich wirkende Frau, die sich auf der Bühne hinter der Maske eines Vamps zu verbergen weiß. Es ist ihre Stimme, mit der sie wie eine Sirene die Zuhörer anzieht. Egal, ob sie Pop, Brecht, Kinderlieder, Chanson, Jazziges, Swing oder Mambo singt. «Diese Stimme hat ihr der liebe Gott in den Hals geschissen», seufzte einst Arnold Fritzsch, der ihr Melodien zu «Vergangenheit», «Himmelblau» oder «Hauch mir wieder Leben ein» schrieb. Ihre erste, ein Jahr vor der Wende erschienene Solo-CD «Die Farbe meiner Tränen» fand 120 000 Fans.

Möglicherweise wäre sie die erste DDR- Lady mit internationaler Karriere gewesen, wenn nicht der Herbst 89 dazwischen gekommen wäre: Am 7 Oktober, als die Republik ihren letzten Geburtstag feierte, gewann sie Bronze beim FIDOF-Festival in Nashville/Tennessee (USA). «Ich hatte nie die hohe Erwartung, dass sich da plötzlich alle Welt auf mich stürzt», sagt die schwarzhaarige Sängerin mit den warmen Augen bescheiden. «Nach der Wende hätte ich alles selber finanzieren müssen, jeden Flug nach Amerika. Undenkbar. Ich bin kein Mensch, der klein klein macht, aber ich schieße auch nicht übers Ziel. Ich dachte eher- Du musst sehen, wie sich hier alles entwickelt.»

Sie trennte sich von ihrem Komponisten Fritzsch und zog sich aus der Medienwelt zurück. Die Boulevardpresse, die sich nur für das Privatleben und nicht die Künstlerin interessierte, nervte sie. Arbeit hatte die Livekünstlerin dank ihrer klassischen Ausbildung genug. Sie trat im Friedrichstadtpalast auf und tourte durch Deutschland. Der ewig Neugierigen war das nicht genug. Seit fünf Jahren spielt sie Theater bei den «Kiebitzensteinern» in Halle. Mal Brecht - und in diesem Jahr Shakespeare. Kann man da wieder zurück zur Popmusik? «Ich habe in all den Jahren ja auch andere Projekte gemacht. Vor allem zusammen mit Angelika Weiz und Anke Schenker», erzählt sie. Gospelkonzerte zu Weihnachten, ein Swingprogramm, das jetzt wieder im April mehr mals im Tränenpalast zu erleben ist. Und als sie vor drei Jahren ihren dritten Lebenspartner Peter Schenderlein kennenlernte, fand mit der Liebe ein neuer musikalischer Tupfer Einzug ins Repertoire. «Er studierte klassische Musik und macht viel Jazz. Ein guter Grund, sich wieder mal ten, aber remasterten Hits und zwei neu produzierten Songs will ich mich ins Gedächtnis der Leute zurückrufen.» Erreichen möchte sie vor allem das Publikum ihrer Altersgruppe, jene also zwischen 35 und 50.

Gefühle will sie wecken. Was ihr mit ihrer samtenen bis rockig-jazzigen Stimme, gut geschützt durch die Bühne, gelingt. «Eigentlich ist in dieser Gesellschaft so vieles Fassade. Alle sind erfolgreich - nur keine Schwächen zeigen. Vielleicht ist das ja meine Botschaft, wieder mehr Gefühle zu zeigen.» Vor allem in ihrer Familie findet sie Halt. Und mit einigen seit Jahren befreundeten Musikerkollegen aus dem Osten, die wie sie nicht zu der Nostalgikerfraktion gezählt werden möchte. An dem einen oder anderen Abend kochen sie zusammen und spinnen sich neue Ideen aus. «Viele >Wessi<-Kollegen, mit denen wir ab und zu arbeiten, können nicht begreifen, wie das funktioniert. Die denken in Hackordnung: In einer Band ist aufgeteilt, wer welche Funktion hat, wer etwas sagen darf und wer nicht. Man kriegt nach dem Konzert sein Geld und geht nach Hause. Intensive Freundschaft und Zusammenarbeit, wie wir sie pflegen, kennen die nicht. Ich hatte immer die Hoffnung, dass nach der Wende beide Seiten voneinander lernen.»

Wie Ines Paulke sagt, hat sie nach der Wende mehrmals versucht, auf verschiedene Wessis zuzugehen. «Ein netter Plausch, mehr war es nicht. Kein neugierig sein auf den anderen. Wir fühlen uns nicht angenommen und haben uns wohl mit unseren Verletzungen wieder >zugemacht.< Eine Art Resignation. Es kostet ja Kraft, sich immer wieder zu bemühen. Nach einer Weile spürt man die vertane Zeit. Eigentlich schade.» Früher war sie spontaner, gesteht sie. Sie fühlt sich musikalisch reifer, doch fällt es ihr schwerer, sich selbstbewusst in der Musikszene zu behaupten. Vielleicht auch, weil sie sich von der Industrie alleingelassen fühlt.

«Finde mal was für unsere Altersgruppe in den Plattenläden», sagt sie bitter. «In England, Frankreich, Italien oder Skandinavien gibt es eine viel größere künstlerische Bandbreite. Hier werden kaum neue Projekte entwickelt, schon gar nicht für ein Publikum, das erwachsen werden will.»

Auftritte: 30./31.8. und 1.9 Zinnowitz im «Preußenhof» gemeinsam mit Four/ 8.9 Bitterfeld zum «Sachsen-Anhalt-Tag»/ 15.9 Meiningen, Theater, gemeinsam mit den Swing Sisters/16.9 Suhl, Philhar monie, mit den Swing Sisters/ab Oktober gemeinsam mit East Blues Experience auf Tour

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