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«Wundermann» liebt Bade-Spaß
Der vierfache Olympiasieger wurde 50 und ist jetzt Orthopäde in Unterfranken
Von Jürgen Holz
Man möchte es kaum glauben: Roland Matthes wurde gestern 50 Jahre alt. Rein äußerlich hat sich der im thüringischen Pößneck geborene Rückenschwimmer des damaligen SC Turbine Erfurt kaum verändert. Er ist rank und schlank wie ehedem, trägt noch immer ein feschen Oberlippenbart, lächelt stets fresch-verschmitzt und ist nach wie vor zu jedem Spaß zu haben.
In seiner aktiven Zeit feierte man ihn als «Schwimmer des nächsten Jahrhunderts». Matthes beherrschte das Rückenschwimmen in den 60er und 70er Jahren wie kein anderer. 19 Weltrekorde stellt er auf. Sieben Jahre lang - zwischen 1966 und 1973 - blieb er unbezwungen.
Seine Husarenstücke waren die olympischen Finalrennen von 1968 und 1972. Als knapp 18-Jähriger, trainiert von der fast auf den Tag genau vor zehn Jahren im Alter von nur 50 Jahren verstorbenen Marlies Grohe, kam er im Spätherbst 1968 als Weltrekordler nach Mexiko-Stadt. Doch mochte man nicht recht glauben, dass er den sieggewohnten US-Amerikanern ein Schnippchen schlagen könnte. Das übertrieben selbstbewusste Gehabe der durch die Wunderzeiten von Matthes aufgeschreckten Amerikaner schien den Erfurter tatsächlich einzuschüchtern.
Marlies Grohe, eine ausgezeichnete Pädagogin und Psychologin, schärfte ihrem schmächtigen Schützling ein: «Tue einfach so, als wäre das hier irgendein Wettkampf. Lass dir Zeit, kümmere dich nicht um die anderen. Mach alles so wie immer.» Matthes handelte danach. Er war der Letzte beim Ausziehen. Er war der Letzte, der zum Start ins Wasser sprang. Er tat alles in geradezu aufreizender Ruhe, was ihm selbst schwer genug fiel.
Was danach folgte, ist zur Legende geworden: Roland Matthes deklassierte das Feld, verwies über 100 m und 200 m die Konkurrenz mit scheinbarer Leichtigkeit auf die Plätze. Und die geschlagenen Amerikaner schäumten vor Wut. Einer aus der DDR hatte sie in die Schranken gewiesen!
«Ohne Marlies Grohe hätte ich es niemals so weit gebracht», sagt er. «Wenn ich im Training mal nicht so wollte, weil mir das Wasser zu kalt war - und ich fror ja immer - dann packte sie mich am Schlawittchen und schmiss mich ins Wasser.» Marlies Grohe urteilte über Matthes, den sie wie einen eigenen Sohn bemutterte: «Er war nicht überdurchschnittlich talentiert. Er hatte recht günstige Voraussetzungen für das Rückenschwimmen, aber erst durch das Training fanden wir den für ihn optimalen Schwimmstil heraus.» Von dem schwärmte die Konkurrenz: Matthes liegt auf dem Wasser und nicht im Wasser.
1972 in München wiederholte er seinen doppelten Olympia-Triumph. Und 1976 in Montreal stellte er sich im fürs Schwimmen damals «biblischen Alter» von 26 Jahren noch ein Mal in den Dienst der DDR-Mannschaft, weil die Nachfolger im eigenen Land noch nicht so weit waren. Er wurde bei seiner dritten Olympiateilnahme Dritter über 100 m. «Die Bronzemedaille bekam bei mir einen Ehrenplatz. Sie hat für mich ebenso viel Wert wie die vier Goldenen. Denn um sie zu erringen, musste ich mich mehr als je zuvor selbst bezwingen», bekannte er. Als er seine Laufbahn beendete, trat er als dreifacher Welt- und fünffacher Europameister ab.
Es folgten etliche Turbulenzen um Roland Matthes, der sieben Mal «DDR- Sportler des Jahres» war. So schloss er zwar sein Diplomsportlehrerstudium an der Leipziger DHfK ab, wäre aber lieber Kfz-Mechaniker geworden. 1978 heiratete er die vierfache Schwimm-Olympiasiegerin Kornelia Ender aus Halle. Die «Hochzeit des Jahres» zerbrach bald. Die aus dieser Ehe hervorgegangene Tochter Franziska ist inzwischen auch schon 22.
Beruflich schlug Matthes schließlich einen Weg ein, den man ihm nicht so ohne weiteres zutraute. Er nahm ein Medizinstudium auf. Der Weg des promovierten Orthopäden Dr. Roland Matthes führte über Erfurt und den Olympiastützpunkt der Fechter in Tauberbischofsheim schließlich ins unterfränkische Marktheidenfeld in die Nähe von Würzburg, wo er jetzt eine Orthopädie-Praxis betreibt.
Sein privates Glück hat er nach der gescheiterten 13 Jahre währenden zweiten Ehen nun bei seiner 23 Jahre jüngeren Freundin Marion gefunden. Schwimmerisch beschränkt sich der einstige «Wundermann» auf den Bade-Spaß mit Sohn Daniel, der vor elf Monaten zur Welt kam.
Wenn er auf seine Karriere zu DDR- Zeiten zurückblickt, spricht er weniger über sich: «Was mich heute stört, ist, dass man es sich so einfach macht und sagt: Der DDR-Sport war führend, weil gedopt wurde. Das ist Schwarz-Weiß-Malerei.» Roland Matthes ist dafür Beweis genug.
Schwimmer Roland Matthes 1968 und der Orthopäde 30 Jahre später Fotos: Imago/ND-Archiv/dpa
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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