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geh Das Salatöl im Tank

Ein alternativer Kraftstoff nutzt die Zeiten steigender Mineralölpreise Von Steffi Schweizer

  • Lesedauer: 4 Min.

Am Anfang war es bei Rainer Niednch aus Berlin-Köpenick nur so eine Trotzreaktion. Und Opposition gegen die geplante Ökosteuer. Von einem Nachbarn auf dem Gewerbehof hatte er sich über zeugen lassen, eines seiner Fahrzeuge probeweise auf Pflanzenöl umzurüsten.

Inzwischen hat Rainer Niedrich, der Tabakgroßhändler, gut Lachen. «Der Wagen fährt ruhiger und verbraucht deutlich weniger. Gerade in der Stadt stehen die Fahrer oft im Stau.» Jetzt schnuppert er belustigt in Richtung Auspuff: «Riecht doch gut, oder?» Zehn Fahrzeuge stehen bei ihm vor der Tür. Rund 40 000 Kilometer legt jedes davon jährlich zurück. Ein erster Transporter der Kundendienst-Flotte lief über ein Jahr lang im Test. Wenn er die steigenden Kraftstoffpreise sieht und andererseits den Liter Pflanzenöl für rund eine Mark kaufen kann, rechnet er das Sparpotenzial schnell aus: «Die Investition für die Umrüstung des Motors lohnt sich!».

In seiner Firma zapft Rainer Niedrich autark und unabhängig aus einem 1000 Liter-Behälter. Ohne es richtig zu wollen, hatte er anfangs zehn und jetzt schon 50 Tankkunden, die mit ihm ein gewisses Umweltbewusstsein teilen und sich nun zunehmend über ihre Entscheidung zur rechten Zeit freuen. Irgendwie sind Niedrich diese Leute aus der Ökoszene sympathisch geworden. «Die denken in anderen Regionen, die wollen die Erde retten.» Einer seiner Kunden pendelt regelmäßig zwischen Berlin und Hamburg. Wenn unterwegs der Tank leer wird, hält der Fahrer am Supermarkt, kauft einige Literflaschen Salatöl und füllt sie vor den ver wunderten Augen der Umstehenden ein. Für diese und weitere Wechselfälle des Autofahrerlebens mit Pflanzenöl weiß Jens Heinrich von «naturpower» aus Zossen (Land Brandenburg) Rat: «Wer sein Auto technisch auf Pflanzenöl umgerüstet hat, kann bedenkenlos mit normalem Diesel weiterfahren, in jedem beliebigen Gemisch zu Pflanzenöl. Der Motor bleibt ein Dieselmotor, der auch mit Pflanzenöl fährt.» Das wird besonders jetzt im Winter bedeutsam, wenn sich das Pflanzenöl dem so genannten Stockpunkt nähert und fest wird. Hier empfiehlt der Experte, ab minus 10 Grad vorsorglich 10 bis 20 Prozent normalen Diesel zuzugeben. Die For schung arbeitet an einem pflanzlichen Zusatz, der die Fließfähigkeit verbessert. Noch steckt vieles in den Kinderschuhen, sagt Heinrich. Das große Problem sei die fehlende Infrastruktur. Oder anders ausgedrückt. Der ausgereifte technische Stand in der Automobilindustrie und die starke Lobby der Mineralölwirtschaft lassen alternativen Ideen nicht den Raum. Entwicklungsarbeit müsste auch in Zählwerke, Pumpen und Zapfpistolen investiert werden. Pro Fahrzeug entstehen Umrüstungskosten zwischen 2000 und 5000, Mark. Eine einheitliche Förderung gibt es nicht. Besonderes Interesse zeigen neben Privatpersonen Handwerker, Taxi- und Fuhrunternehmen sowie kommunale Einrichtungen, aber auch Landwirte.

Auf dem Bauhof der Stadtverwaltung Beelitz (Land Brandenburg) befindet sich eine Tankstelle der besonderen Art. Das Bauamt der «Spargelstadt» unterhält acht Fahrzeuge. Fünf Multicar und zwei Kleintransporter wurden von Diesel auf Pflanzenöl umgerüstet. Die Öko-Tankanlage auf dem Betriebshof ist ausschließlich für den Eigenbedarf gedacht. Für das Projekt hat sich Bauhofleiter Klaus Gleitsmann stark gemacht, es gab einmalig Fördermittel. Aus finanzieller Sicht lohnt die Umstellung nicht. Die Kilometerleistung der Fahrzeuge ist zu gering. Doch die Stadt setzt auf die Beispielwirkung, und der «gelernte Landwirt» Gleitsmann handelt aus grünem Bewusstsein: Die Bauern der Region, die ihr Land aus der ehemaligen LPG zurückbekommen haben, suchen nach zusätzlichen Ertragsquellen. Während der «Grünen Woche» stellte Klaus Gleitsmann das Projekt im Fernsehen vor. Danach stand sein Telefon nicht mehr still.

Zu den «Pflanzenöl-Pionieren» kann man auch Hans-Dieter Pilz aus Chemnitz in Sachsen zählen, dessen «Mercedes» seit Jahren ein Vegetarier ist. Als ihm ein Spediteur überlagertes Sonnenblumenöl mit Vitamin B anbot, goss er probeweise erst mal fünf Liter in den Tank. «Mit Vitamin B läuft sogar der Mercedes schneller», meinte Herr Pilz danach. Der studierte Maschinenbau-Ingenieur, der im Zentrum der Stadt eine Öko-Autowaschstraße betreibt, zapfte seinen «Sprit» viele Jahre aus dem Container in der Garage. Seit einiger Zeit steht auf dem Firmengelände eine Pflanzenöl-Zapfsäule. Pilz ist Realist genug zu wissen, dass sich an der Biosäule keine Warteschlangen bilden.

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