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- Paul Celan zum 80. Geburtstag - vier Neuveröffentlichungen
Geheimnis des Wortes
Es ist die Zeit, Celans zu gedenken, ihn neu zu lesen. Heute wäre Paul Celan achtzig Jahre alt geworden, vor dreißig Jahren hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Keine Dichtung der Nachkriegszeit ist so wie seine gedeutet und missdeutet worden. Bisher gibt es mehr als 4000 Veröffentlichungen zu Celans Werk.
Die Pole sind in uns, unübersteigbar
im Wachen,
wir schlafen hinüber, vors Tor
des Erbarmens,
ich verliere dich an dich, das ist mein Schneetrost,
sag, daß Jerusalem i s t, (...)
Das Gedicht Die Pole gehört zu den fünfzehn Jerusalem-Gedichten, die Celan nach seiner Israelreise 1969 schrieb. Es ist von großer Schönheit, nicht leicht entzifferbar, aber dunkel oder gar ein Zeugnis des Verstummens ist es nicht. Die Reise war die letzte Zäsur in seiner Biographie. »Er wusste«, so sagt die Jugendfreundin Ilana Schmueli, die ihn während der Reise begleitete, »dass es für ihn Zeit geworden war, nach Israel zu reisen, zu gedenken auf dieser emporgelittenen Erde (Paul Celan). Celan brach die Reise vorzeitig ab. Das Gedicht spricht, so Ilana Schmueli, von «Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Zusammenfindens ... Schlaf ver spricht die tröstliche Nähe.»
Ihr Vortrag über Paul Celans Judentum und Israel ist eins der wertvollsten Dokumente des Wiener Symposiums, gerade weil hier nicht ein Wissenschaftler deutet, sondern eine Freundin, die dem Dichter zuletzt eng verbunden war. Sie spricht vorsichtig, als könnte Wertvollstes preisgegeben oder zerstört werden. «Es ist soviel Ferne zwischen uns, daß wir uns nie wieder verlieren können», hat Paul Celan an Ilana Schmueli geschrieben. Sie bezieht das Du des Gedichts auf Jerusalem. Paul Celan, für den die Shoah nie aufgehört hat, «zerriss» am Ende das «Nichtgenug-Jüdis ch-S ein».
Kein Wort in seinen Gedichten, so hat Paul Celan selbst gesagt, sei ohne Wirk lichkeitsbezug geschrieben. Die zerstörte Heimat, Czernowitz und die Bukowina, blieb lebenslang eine Erinnerungswunde. In den Beiträgen des Wiener Celan-Symposiums gibt es einen Text von Peter Rychlo (Universität Czernowitz) mit dem Titel «Der slawische Meridian im Werk Paul Celans». Darin verdeutlicht der Autor, dass die Affinität Celans zum slawischen Osten als konkretem und imaginären Ort «meridianhaft» über Czernowitz und die Bukowina führt. In Celans Büchner-Preis-Rede («Der Meridian») heißen, so Rychlo, die Schlüsselworte: Verbindung, Begegnung, Rückkehr. Seinen Gedichtzyklus «Die Niemandsrose» hat der Dichter bekanntlich dem Andenken Ossip Mandelstams gewidmet. «Dieses Immer-noch des Gedichts kann ja wohl nur in dem Gedicht dessen zu finden sein, der nicht vergißt, daß er unter dem Neigungswinkel seines Daseins, dem Neigungswinkel seiner Kreatürlichkeit spricht», so heißt es in der «Meridian»- Rede. Bei Celan haben alle Worte vielfache Bedeutung. Geneigt sein heißt, so liest Foto: Wolfgang Oschatz
man es wohl, gebeugt sein (durch die Zerstörungen) und (den Vernichteten und dem Verlorenen) zugeneigt sein.
Als der junge Paul Antschel im Jahre 1938 erstmals über Berlin nach Paris fuhr, sah er den Rauch des Novemberpogroms, der war schon von morgen. Er selbst überlebte in einem Arbeitslager. Den Mord an den Eltern, vor allem der geliebten Mutter, verkraftete er nie. 1959 wird er das erschütternde Gedicht Wolfsbohne schreiben, das einundzwanzigmal die Mutter als Adressatin nennt. «Mutter,/ Mutter, wessen/ Hand hab ich gedrückt,/ da ich mit deinen/ Worten ging/ nach Deutschland?» Er wird das Gedicht nicht veröffentlichen.
Seit 1948 lebte Paul Celan in Paris, nach Deutschland «ging» er mit seiner Dichtung in deutscher, der Mutter- und Mör dersprache. «Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim, den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?» (aus Nähe der Gräber 1944). Die Todesfuge macht ihn zu einem der bekanntesten Dichter deutscher Sprache. Die Rezeptionsgeschichte seiner Gedichte verdeutlicht die geistige Situation in Westdeutschland der fünfziger und sechziger Jahre. In seinen Gedichten werden historische Bezüge nicht wahrgenommen, oder sie erhalten Alibifunktion. Als Paul Celan 1952 bei einer Tagung der Gruppe 47 in Niendorfdie Todesfuge vorträgt, erscheint er den Schriftstellern dort «wie ein Mensch aus einer anderen Welt.»
Vieles dunkelte Celans Leben und seine Dichtung ein. Aber vom Tod der Eltern zum Gang in die Seine 1970 gibt es nicht zwangsläufig den monokausalen Weg, so sagte Wolfgang Emmerich beim Celan- Symposium. Schwer belastet haben ihn die ungeheuerlichen Vorwürfe Ciaire Golls, Celan habe das Werk ihres Mannes plagiiert. Seit den ersten öffentlichen Vor würfen 1953 bis zum Tod hat sich Celan dagegen gewehrt und um die Integrität seiner Dichtung gekämpft. Barbara Wiedemann hat nun in einem unfangreichen Band alle Dokumente der sogenannten «Goll-Affäre» zusammengetragen, geordnet und kommentiert. Ein immense Ar beit. Durch bisher schwer erreichbares Material wird nun die Ungeheuerlichkeit der Pressekampagne lückenlos aufgedeckt. Das Buch liest sich wie ein böser Kriminalroman, macht vor allem deutlich, warum Celan die antisemitischen Äußerungen Ciaire Golls und ihre Folgen als persönliche Vernichtungsaktion verstehen musste.
«Ich stehe auf einer anderen Raum- und Zeitebene als mein Leser- er kann mich nur entfernt verstehen, immer greift er nur die Gitterstäbe zwischen uns.» Gitter Stäbe sind auch bewusste und unbewusste Fehlinterpretationen. Der Pariser Philologe Jean Bollack wendet sich in seinem Buch gegen das «Reden ohne Verstehen» bezüglich der Celan-Gedichte, gegen Floskeln, die das «Mysterium» des Seins oder Daseins beschwören. Von hier aus sei der Schritt nicht weit, die «tragischen Merk male» der späten Dichtung Celans zur «Angelegenheit des wahnsinnigen Dichters» zu erklären. Jean Bollack macht «die Zäune», mit denen sich Celans Texte umgeben, sichtbar und er eröffnet damit einen neuen Blick. Jean Bollack war ein naher Freund Celans. Seine Lesart der Dichtung ist aus den Gesprächen mit dem Dichter unmittelbar hervorgegangen und ihr kommt (neben philologischer Genauigkeit) eine ähnliche Authentizität zu wie den Äußerungen von Ilana Schmueli. Seine grundlegend neue These ist die Deutung des Ich und des Du. Das Gespräch geht, so Bollack, vom Dichter zum Dichter selbst. Das ist überzeugend. Der Leser er hält tatsächlich einen neuen Schlüssel zur Entzifferung dieser «Poetik der Fremdheit». Barrieren philologischer, metaphysischer und religiöser Interpretationen werden aus dem Weg geräumt.
«Lesen, lesen, lesen!» hat Celan seinem Biografen Israel Chalfen gesagt, als der ihn um Verständnishilfen bat. Der neu edierte Band «Atemwende», der die Textgenese in Gegenüberstellung von Vorstufen und Endfassung verdeutlicht, belegt Celans genaue Arbeit mit dem Wort. Es gibt darin ein Gedicht:
Als uns das Weiße anfiel, nachts; als aus dem Spendenkrug mehr kam als Wasserals das geschundene Knie der Opferglocke den Wink gab: Flieg! -(...) Der Endfassung hat der Dichter drei Zeilen hinzugefügt: Da/ war ich/ noch ganz.
Jean Bollack: Paul Celan. Poetik der Fremdheit. Aus dem Französischen von Werner Wagenbauer. Paul Zsolnay Verlag. 376 Seiten, 58 DM. Unverloren. Trotz allem. Paul Celan- Symposium Wien 2000. Mandelbaum Verlag. 240 Seiten, 33,90 DM. Paul Celan - Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer «Infamie». Herausgegeben von Barbara Wiedemann. 926 Seiten, 98 DM. Paul Celan: Atemwende. Vorstufen - Textgenese- Endfassung. 217 Seiten, 68 DM. Beide Suhrkamp Verlag.
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