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Ohne Brot ist der Tisch nur ein Brett

(russisches Sprichwort)

  • Lesedauer: 2 Min.

Im Laufe der letzten Jahre haben sich Hotels, Tankstellen, Nachtimbisse und Tante-Emma-Läden angewöhnt, ihre »selbst gebackenen« frischen Brötchen oder Brote anzupreisen. Familien loben ihre Backautomaten oder pressen am Sonntag Morgen ein paar Teigbatzen aus einer Büchse auf ein Backblech. Grundlage dafür sind vorgefertigte und oft tiefgefrorene Teiglinge oder einfach zu handhabende Backmischungen. In den traditionellen Bäckereien verfolgt man diese Konkurrenz mit Argwohn - wohl wissend, dass all dieses auch schmecken kann und vom Aufsuchen eines Bäckerladens partiell abhält. Die Zahl der traditionellen Einzelbäckereien nimmt ohnehin ab - Helmut Martell vom Verband der deutschen Brotwaren- und Backindustrie macht dafür auch die junge Generation verantwortlich. Deren Vertreter seien kaum noch bereit, ein solches Geschäft zu übernehmen, weil die Arbeitsbedingungen ungünstig sind und so ein Betrieb nicht viel abwirft. Leicht im Wachstum sind die Filialbäckereien mit zentraler Herstellung und dezentralem Verkauf. Theoretisch jedenfalls. Praktisch kämpft auch Bäckerstolz um jeden Kunden: mit den Rabattkarten, die das zehnte gekaufte Brot kostenlos gewähren, mit der Werbung für die gute alte Handarbeit, die bei Heiko May und Meister Klaus Zachrau allnächtlich in ak robatischen Höchstleistungen gipfelt. Dann nämlich, wenn die einzeln abgewogenen Kiloteigstücke mit beiden Händen gleichzeitig in atemberaubendem Tempo und absoluter Symmetrie zu der Form geknetet werden, die uns ein paar Stunden später als braun gebackenes Brot aus einer der Verkaufsstellen am S-Bahnhof oder in der Friedrichstraße anlachen.

Wer sagt, dass der Bäckerberuf heute längst nicht mehr so schwer sei wie vor Jahren, hat die rennenden Vier in der Richterstraße nicht gesehen, nicht die Schweißtropfen auf Herbert Ludwigs Stirn und nicht den heißen Öldampf im »Pfannkuchenzimmer« eingeatmet, in dem der 24-jährige Christian Petruske Herr über 500 Pfannkuchen, 350 Spritzkuchen, 180 Kameruner und ebenso viele Krüstchen ist. Auch in der Silvesternacht wird er in seinem großen Stahltopf den Teig für frische Neujahrspfannkuchen anrühren und wie all seine anderen Kollegen »der Frische die Krone aufsetzen«.

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