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  • Reportage - Altenburger Land

Junger Geist für alte Schlösser

Im Altenburger Land beteiligen sich drei Schulen an einer Projektaktion der Deutschen Stiftung Denkmal. Mit viel Engagement hauchen die Thüringer Jugendlichen altem Gemäuer wieder Leben ein.

  • Stefan Tesch, Gößnitz
  • Lesedauer: 7 Min.
Fabian steht auf einer fast deckenhohen Leiter und lässt einen Faden herunterbaumeln. Das heißt, der baumelt nicht, er hängt straff und gerade, und das ist auch wichtig. Denn mit dem kleinen angebundenen Metallkreisel, der die Schnur im Lot hält, müssen unten am Boden Madeleine und Andreas eine filigrane Übung absolvieren. Zentimeter für Zentimeter tastet Fabian die erhabene Stuckarbeit über seinem Kopf ab, und Dank des Fadens, der dabei in seiner Hand mitwandert, zeichnet auch der Kreisel unten auf einem weißen Karton die Rundungen und Ecken der Stuckdecke nach. Madeleine muss dazu mit ihm nur reichlich Punkte setzen, die Andreas dann verbindet. Für den Fall, dass seine Kurven nicht immer ganz sauber werden, ist auch noch Nils da: Er zeichnet sie mit einem großen Zirkel nach. »Aus dieser ersten Vorlage fertigen wir dann später ein Gipsmodell an«, erläutert Madeleine.
Für die vier Neuntklässler steht heute gewissermaßen Trockentraining auf dem Programm. Mit einer Hand voll weiterer Mitschüler aus der Regelschule im thüringischen Gößnitz haben sie sich dazu drei Tage in einem alten Schloss in Sachsen einquartiert. Das ist eine fast 900-jährige Wasserburg, gelegen an der Mulde in Trebsen, die zu erkunden selbst eine Woche kaum reichte. Doch dazu sind sie auch nicht hier, selbst wenn sie, wie ihre Lehrerin Brita Weiße frozzelt, abends gehörig durch das alte Gemäuer geistern.

Eigenverantwortung soll gestärkt werden
Zuerst einmal sollen die Jugendlichen aber im hier beheimateten »Bildungszentrum für handwerkliche Denkmalpflege e.V.« allerlei Ungewöhnliches lernen, was sie für eine ebenso ungewöhnliche Schularbeit brauchen: neben dem Aufmaßnehmen von Stuckdecken auch das pedantische Kartieren von Mauerwerksschäden oder das Anfertigen verworren wirkender Modellzeichnungen, die dem Uneingeweihten schon beim Hinschauen Augenflimmern bereiten. Bei einer zweiten Stippvisite, die noch für dieses Frühjahr vorgesehen ist, versuchen sie sich auch im Lehmbau, sie üben Holzschnitzarbeiten und erwerben erste Fingerfertigkeiten in Sgrafitto. Das sei eine alte Schabtechnik, mit der man früher Bilder in Putzwände kratzte, wissen sie schon zu berichten.
Der eigentliche Patient freilich, für dessen Genesen die Schüler kurz vor Weihnachten diesen ersten Crashkurs besuchten, steht im Silbermannorgel-Ort Ponitz. Das ist ein lang gestrecktes Bauerndorf im Altenburger Land, in dem auch mancher der 15-Jährigen zu Hause ist. So kennen die meisten auch das hiesige Herrenhaus, das sich von außen mittlerweile wieder ganz hübsch ausnimmt. Umso erschrockener waren sie, als sie im Herbst für ihr Schulprojekt das Innere des 1568 errichteten Renaissanceschlösschens durchstreiften. Die prächtigen Kassettendecken hätten schlimm gelitten, der Putz bröckele von den Wänden, Fenster müssten erneuert werden und auch die Außenmauer des Gutsgeländes befinde sich »in einem erschreckenden Zustand«, berichten die Schüler.
»Natürlich sollen die Jugendlichen jetzt nicht das Schloss restaurieren«, lacht Brita Weiße. Um sie aber möglichst dicht heranzuführen an die Erbarmenswürdigkeit kulturhistorischer Bauten in ihrem ländlichen Lebensumfeld, sei es schon wichtig, dass sie manche Arbeiten auch mal selbst gemacht haben. »Dann können sie den Wert auch ganz anders schätzen und setzen sich künftig mehr für das Überleben von Denkmalen ein«, hofft die temperamentvolle Kunst- und Deutschlehrerin, die das klassenübergreifende Projekt an der Gößnitzer Schule koordiniert. Übergeordnetes Ziel sei es also, die Schüler für Denkmale zu sensibilisieren und zugleich ihr Eigenverantwortungsgefühl zu stärken.
»Aber natürlich wollen wir auch einen kleinen Beitrag zum Erhalt der alten Bauten leisten«, kokettiert die 15-jährige Lena, die in einem Nebenraum gleichfalls unter einer Leiter mit einem Riesenzirkel hantiert. In mehreren Gruppen nehmen sich die Schüler dazu des Ponitzer Schlosses an. Manche untersuchen die Stuckdecken, andere beschäftigen sich mit Alltag und Bewirtschaftung des Gutes in der Renaissance und erarbeiten dazu Dokumentationen, eine aufstellbare Zeittafel sowie Modelle für eine Vitrine im Schlossfoyer. Oder sie erkunden den historischen Gehölzbestand der Parkanlage.
Dass auch die teils stark beschädigte Parkmauer ein wesentliches Thema bildet, erkennt sofort jeder, der sie passiert. »Wir würden uns schon wünschen, dass die Schüler - natürlich unterstützt durch Fachleute - Lösungsansätze für deren Instandsetzung finden«, hofft Dr. Roland Mehlig. Er ist im Hauptberuf Denkmalschützer und nach Feierabend Chef des Fördervereins Schloss Ponitz; so hat er doppelt Interesse an ihrer Arbeit.

Bundesweite Aktion mit 60 Schulen
Zumindest in Trebsen wirken die Burschen und Mädchen dieser Gruppe recht motiviert. Konzentriert exerzieren sie mittels Messlatte und einem selbstgebauten Rastergitter, wie man schadhaftes Gemäuer erfasst und zu Papier bringt: Einer misst, einer sagt an, einer zeichnet ein, einer kontrolliert - und Spaß haben alle vier dabei. Am Ende entsteht so eine schematische Ansicht, die sowohl die Schadbilder als auch die Baumaterialien der Ziegelwand darstellt. »Ist ja auch für den Unterricht wichtig, weil es Teil einer Jahresarbeit wird«, versichern Steven und Holger so bierernst, dass man nicht weiß, ob sie einen nicht nur hops nehmen wollen. Doch Brita Weiße, die ihre Pappenheimer kennt, schmunzelt: »Gerade jene, die im Unterricht null Bock haben, leben hier oft richtig auf. Das ist halt was anderes als Schule.«
Womöglich hatte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz diesen Nebeneffekt gar nicht recht im Sinn, als sie 2005 ihre Aktion »Denkmalschutz in jungen Händen« startete. Diese knüpft an ähnliche Kampagnen in den Vorjahren an. Auch hierbei wurden Schüler animiert, aktiv zu werden, um Kulturdenkmale zu retten, zu pflegen und stärker ins öffentliche Bewusstsein zu holen.
Auch diesmal suchen sich die Jugendlichen in enger Kooperation mit Fachpartnern, etwa regionalen Denkmalschützern, eine konkrete Kulturstätte aus. Sie sollen sich mit um deren Rettung und Instandsetzung sorgen, Ideen für eine nachhaltige Nutzung entwerfen. Und sie bringen »ihr« Denkmal - gleich ob Adelsbau, historische Industriestätte, Park oder Garten - dann auf Flyern, in Broschüren und im Internet »groß heraus«, versichern die Gößnitzer.
Insgesamt 60 Schulen in allen Ecken der Republik beteiligen sich an dieser Aktion, die die Denkmalstiftung finanziell, fachlich und pädagogisch ein Jahr lang fördert. Und gleich drei von ihnen liegen in Ostthüringen. Ebenfalls mit dem Ponitzer Herrenhaus beschäftigen sich Mädchen und Jungen der Regelschule »Am Eichberg« in Schmölln, während sich Mittelschüler aus der Gemeinde Langenleuba-Niederhain eines Vierseitenhofes in Garbisdorf bei Altenburg annehmen.
Sie, die Gößnitzer, seien dabei so etwas wie der Rudelführer im Dreierverband, witzeln einige Jungs. Ihre Lehrerin klärt auf: »Wir bilden einen Projektverbund, der sich mit Kulturdenkmalen beschäftigt, die die landwirtschaftliche Prägung des Altenburger Landes belegen.« Ihre Schule koordiniere das deshalb federführend, weil sie schon im Vorjahr an einem ähnlichen Denkmalprojekt mitwirkt hatte. »Geplant sind beispielsweise mehrere gemeinsame Workshops«, so Brita Weiße.
Das Garbisdorfer Denkmalprojekt ist der auf einem Hügel über dem Ort thronende Quellenhof. Derzeit bietet er ein höchst trostloses Bild. Die Schüler sollen seine bauliche Entwicklung und das frühere Leben des ortsbildprägenden Bauernhofes erforschen. Sie sollen Recherchen zu seiner ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte und den früheren Besitzern führen. Und sie sollen sich Gedanken machen, wie er nach einer Sanierung dem Dorf, das ihn vor einiger Zeit gekauft hat, kulturell nutzen kann. »Außerdem fertigen wir ein Modell des Quellenhofes und legen den alten Bauerngarten wieder an - nach eigenen Entwürfen!«, erzählt der 15-jährige Kevin Graupner.
Für die Pädagogen in Gößnitz bietet dieses denkmalpflegerische Engagement übrigens auch die Chance, ihre Schule weiter zu profilieren. Denn bei berufsvorbereitenden Projekten - und hierbei namentlich handwerklichen Arbeiten - habe sich bereits eine gute Tradition herausgebildet, freut sich Brita Weiße. Und wie vielseitig die Mädchen und Jungen dabei interessiert werden, belegt ein von den Schülern selbst gefertigter Zunftbaum auf dem Schulhof: Kaum ein wichtiges Handwerk, das sich hier nicht wiederfindet.

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