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- i«bi–m Tonis Mörder
auf der Anklagebank
Prozess gegen drei junge Männer, die einen Schüler »aus Langeweile« totschlugen Von Reinhard Sobiech, ddp
Am Donnerstag dieser Woche beginnt am Neubrandenburger Landgericht ein Prozess gegen drei junge Männer - sie sollen einen Schüler getötet haben, nach eigenem Bekunden »aus Frust und Langeweile«.
Der Präsident des Neubrandenbur ger Landgerichts, Roland Kollwitz, bewies Fingerspitzengefühl: Den »Tag der offenen Tür« zur Einweihung des ersten Teils der neuen »Justiz-Meile« der Vier Tore-Stadt hat er auf Freitag gelegt. So wird die Feierlichkeit des Augenblicks nicht vom wenig freudvollen Alltagsgeschäft der Gerichtsbarkeit überschattet. Denn bereits am Donnerstag - dem Tag der Bauübergabe - soll in dem Justiz- Komplex ein spektakulärer Mord-Prozess beginnen.
Angeklagt sind drei junge Männer, die in der Nacht zum 19 August 2000 den 15- jährigen Schüler Toni Beustier in einem abgelegenen Garagenkomplex am Stadtrand von Neubrandenburg zu Tode geprügelt haben sollen. Die Täter, die nach Zeugenhinweisen einen Tag später festgenommen wurden, waren sofort geständig. Bei der Vernehmung gaben sie zu Protokoll, ihr Opfer aus »Frust und Langeweile« getötet zu haben. Die Öffentlichkeit zeigte sich tagelang schockiert - vor allem, als die Staatsanwaltschaft Details der Tat bekannt gab.
Demnach trieben sich in jener Nacht die damals 16, 18 und 21 Jahre alten Täter zwischen aufgebrochenen Garagen und Autowracks herum. Einer von ihnen soll gesagt haben: »Ich mische heute einen auf!«. Ihr Opfer wurde Toni. Die drei Angeklagten fielen über Toni her, schlugen ihn mit Fäusten und traten ihn mit schweren Turnschuhen an den Kopf. Als der Junge blutüberströmt und besinnungslos liegen blieb, flohen die feigen Schläger. Zwei von ihnen hatten noch keine Lehre begonnen, der dritte ist Zimmermann, leistete seinen Wehrdienst als Feldjäger der Bundeswehr und war gerade auf Ur laub. Der endete für ihn und seine Kumpane in Untersuchungshaft.
Zwei Jugendliche, die damals alles beobachtet hatten, riefen Polizei und Krankenwagen. Den Mut einzugreifen, hatten die Jungen nicht. Die Staatsanwaltschaft sah später auf Intervention von Rechtsanwälten dieser Zeugen von einer Strafverfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung ab. Die Anwälte argumentierten, die beiden Zeugen hätten »keine Chance« gegen die Täter gehabt. Einen Tag nach der Misshandlung starb Toni in einem Krankenhaus an seinen schweren Hirnverletzungen. Aus seiner Ohnmacht war er nicht mehr erwacht.
Untröstlich waren vor allem seine Großeltern, bei denen der Junge aufwuchs, seit die Mutter gestorben war. Auch ein halbes Jahr nach dem Mord und der mit großer Anteilnahme erfolgten Beisetzung ist bei vielen Neubrandenburgern noch der dramatische Appell von Tonis Großeltern in Erinnerung: »Lasst so etwas nicht wieder geschehen. Seht nicht weg. Seid wachsam. Helft Schwachen...« Wenige Wochen später fand der traditionelle Wettkampf »Sport statt Gewalt« der Neubrandenburger Polizeidirektion für die Schulen des Ortes statt diesmal unter dem Motto »Zum Gedenken an Toni«.
Es war indes nicht der erste grausame Mord, der in den vergangenen Jahren im alten Neubrandenburger Industriegebiet passierte. Hier, wo zwischen Werksbrachen und verlassenen Wohnblocks, einem Asylbewerberheim und einer als Drogenumschlagplatz ausgehobenen Kneipe kaum noch einer freiwillig wohnen möchte. Im August 1998 war dort ein Obdachloser in einem Plattenbau zu Tode gefoltert worden, und keiner hatte etwas gehört. Das Opfer fand man abgelegt an einem Garagenkomplex jener Straße, in der auch Toni getötet wurde.
Die Staatsanwaltschaft hat im Fall von Toni die Anklage wegen »gemeinschaftlichen Mordes aus niederen Gründen« er hoben. Ob die Aussagen der Täter im Prozess je der Öffentlichkeit bekannt werden, bleibt abzuwarten. Die zunächst auf drei Tage angesetzte Verhandlung findet nämlich vor der Jugendstrafkammer statt. Es ist davon auszugehen, dass die Öffentlichkeit und damit auch die Medien weitgehend von dem Prozess ausgeschlossen werden.
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