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Der Kräftige

  • Lesedauer: 2 Min.

Am 1. Mai hätte er wieder auf der Bühne gestanden, in Frank Castorfs Inszenierung »Hauptmanns Weber«. Eine der besten, weil zornigsten, bösesten Arbeiten des Regisseurs. Großar tig, mit welch fast subversivem Trotz der Volksbühnen-Chef diesen Abend immer wieder, auch gegen die eher abweisenden Zuschauer, auf den Spielplan setzt. Gerd Preusche war der entnervte Gewerk schafter, der über seine DGB-Fahne weint - deren Stange brach beim Versuch, eine Webmaschine auszuhebein. Preusche ganz Preusche: die Stimme gegen den Hals drückend, wie man einem Gegner einen aufs Auge drückt; im Gesicht wunder bar arbeiterkräftige Einfalt, die hätte Geschichte machen können - wäre sie nicht aufgeweicht worden in weinerlicher Funktionärsschwabbrigkeit.

Lange spielte er in Karl-Marx Stadt, so als Barka in Heiner Müllers »Bau«, inszeniert von Castorf. Der wurde »sein« Regisseur, am DT (»Paris, Paris«, 1987), dann

an der Volksbühne. Viele Castorf-Inszenierungen, aber auch Arbeiten von Kresnik und Kriegenburg, Hartmann und Kruse sind nun Erinnerungen auch an diesen kräftigen Kerl. Weiche Wucht, zotiger Zorn, krachender Schritt - und als Nibelungen-König Günther anmutiger Tanz im Weintrauben-Bottich.

Was ist das, ein Castorf-Schauspieler? Eine »poetische Kampfmaschine« sagt der Regisseur selbst. Ab einem gewissen Alter ist der Castorf-Schauspieler ein Bar de, der nicht mehr an die üblichen zehrenden Marktkreisläufe angeschlossen ist, der einen bestimmten modischen Karriere-Ehrgeiz abgestreift hat. Dem aus Er fahrungen die Lust aufs rücksichtslose Spiel auf ganz neue Weise zuwächst. Der womöglich nicht alles versteht, was das Hirn Castorf auskocht, der seine Fragen auf hinterlistige Weise im Gesicht behält. Der aber losspielt. - Gert Preusche wäre am 4. Juni 61 Jahre alt geworden.

Hans-Dieter Schutt

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