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  • Politik
  • Künstler im Zwiespalt: Willi Bredel. Am 2. Mai vor 100 Jahren wurde er geboren

Proletenjung von

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Es war 1924, als sich in Dortmund der angehende faschistische Hauptdemagoge Joseph Goebbels und ein junger Hamburger Metallarbeiter gegenüberstanden, 27 Jahre alt der eine, 23 der andere. Letzterer namens Willi Bredel hat die Szene zehn Jahre später beschrieben. Den «leidenschaftlichen Ausführungen» des Nazis über die aktuelle Bedeutung des Jahres 1813 hatte er sachliche Argumente gegenübergestellt, kompetent, historisch bewusst. Dem muss das imponiert haben, denn er nimmt seinen Kontrahenten nach Schluss der Versammlung beiseite und prophezeit: «Sie werden bald in unseren Reihen stehen. Sie sind eine Kämpfernatur, Sie werden Ihren Weg finden.» Fazit eines Gesprächs, wie man es sich heute in irgendwelchen «Kameradschaften»

ebenfalls vorstellen könnte. Doch Herr Goebbels war an den Falschen geraten. Der rechnete zehn Jahre später in einem offenen Brief seinem damaligen Gesprächspartner vor, was aus dessen haltlosen Versprechungen von der «Brechung der Zinsknechtschaft» und der Beseitigung des «raffenden Kapitals» geworden war. Und er klagte ihn und seine «Prügelpädagogen» der Verbrechen an, wie er sie im Konzentrationslager Fuhlsbüttel selbst erlebt hatte und wie sie im nun von den Nazis eroberten Deutschland gang und gäbe waren. Er schickte ihm ein Buch, das er zu eben diesem Thema geschrieben hatte und das gerade in Prag erschienen war- «Die Prüfung». Es sollte bald, in 17 Sprachen übersetzt, weltweit verbreitet sein.

Geschildert ist darin die Prüfung, die der erbarmungslose Terror seiner Aufseher dem jungen Walter Kreibel auferlegt. Angeklagt sind die Schikaneure und Mör der des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Mathias Thesen wie des sozialdemokratischen Lübecker Arztes Dr. Solmitz. Akzentuiert ist der Hass, mit dem die NS-Behörden und die SA-Wachtmeister besonders die jüdischen Lagerinsassen verfolgen, wobei Bredel den Unter schied zwischen diesen frühen Mord- und Folterpraktiken und der späteren systematischen industrialisierten Menschenvernichtung in einer Vorbemerkung zur Neuausgabe des Buches 1946 ausdrück lieh hervorgehoben hat. Über alle Anfechtungen hinweg entscheidet sich Kreibel auch nach diesem Höllengang für den antifaschistischen Kampf. Das ist autobiografische Wahrheit, wenngleich diese heroische Note dem Buch als DDR-Schullektüre, zumal ständig betont, auch abträglich gewesen ist. Ein verordneter Antifaschismus immerhin, der über die Nazi- Diktatur und ihre willigen Helfer aufklärte und den zu diskriminieren wahrhaftig kein Anlass besteht.

Und der Autor der «Prüfung» blieb sich treu. Als Kämpfer im spanischen Krieg gegen Franco, obwohl ihm das Soldatische wenig gelegen hat. Als (gemeinsam mit Brecht und Feuchtwanger) Herausgeber der in Moskau erschienenen Zeitschrift «Das Wort», in der deutsche antifaschistische Schriftsteller veröffentlichten. In der Schneewüste vor Stalingrad, mit Mikrofon und Lautspredher an deutsche Soldaten gewandt: sie mögen ihr Leben retten, den hoffnungslosen Kampf aufgeben. Ein aufschlussreiches Foto zeigt Willi Bredel, Mitglied des Nationakomitees «Freies Deutschland», mit deutschen Kriegsgefangenen: sie stehen und sitzen ihm gegenüber, ernst und verschlossen, skeptisch und misstrauisch, abgezehrt und abgeschlagen, zugleich aber gespannt seinen Worten lauschend. Was hat ihnen dieser Schriftsteller zu sagen, der als Hoch- und Landesverräter aus deutscher Staatsbürgerschaft ausgestoßen war? Das antifaschistische Thema blieb auch seinen literarischen Arbeiten eingeschrieben. Es sei nur an die «Frühlingssonate» erinnert, Darstellung der Schmerz-Reaktionen eines sowjetischen Offiziers, dessen ganze Familie im Krieg getötet wurde. Oder an die Erzählung «Das schweigende Dorf», die das Verbrechen an 53 jüdischen Frauen in einem mecklenburgischen Dorf und die langjährige Verschwörung des Schweigens darüber aufdeckt, als Mahnung, dass erst durch die Bewältigung der Schuld ein wirklicher Neubeginn möglich wird.

Antifaschismus war für Willi Bredel ein Lebensprinzip geworden.

Seine bleibende Leistung als Schriftsteller sehe ich jedoch vor einem weiteren Horizont. Sie gründet sich auf seine Her kunft aus Hamburger Arbeiterkreisen und der von Jugend an bestehenden Verbindung mit der Arbeiterbewegung. «Ich bin ein Proletenjunge von der Waterkante», sagte er von sich. 1916 bis 1920 ist er Dreherlehrling, tritt er dem Metallarbeiterverband und der sozialistischen Ar beiterjugend bei, wird Vertrauensmann der Lehrlinge, später Betriebsrat. Früh ist er Mitglied bei Spartakus und organisier ter Kommunist. Er arbeitet als Dreher und fährt zur See, wandert durch Deutschland und Italien. Das sind die Universitäten des Willi Bredel, nicht zu vergessen die Tätigkeit als Arbeiterkorrespondent und Redakteur kommunistischer Zeitungen sowie die Monate und Jahre seiner Inhaftierung 1924 und 1930-32, die ihm erstmals Zeit und Ruhe verschafften, um schriftstellerische Arbeiten anzugehen. «Marat, der Volksfreund» hieß sein erstes Büchlein, das 1924 erschien, und seine 1930 und 1931 veröffentlichten «Roten-1 Mark-Romane» «Maschinenfabrik N&K» und «Rosenhofstraße» riefen in der proletarisch-revolutionären Kulturszene der späten Weimarer Republik sofort heftige Diskussionen hervor. Kein Geringerer als Georg Lukäcs war der Kritiker, der ihm die Unzulänglichkeiten dieser Bücher streng vorrechnete. Für die Kunst von Jugend an sensibilisiert, ein eifriger Leser seit eh und je, gewann sein erzählerisches Vermögen durch solche Auseinandersetzungen. Das ist am deutlichsten spürbar in der Trilogie «Verwandte und Bekannte», in die all seine Lebenserfahrung und politische Einsicht einfließen und zu einem bewegten und höchst anschaulichen Bild deutscher Arbeiter und ihrer politischen Bestrebungen aus der Sicht eines Kommunisten gestaltet sind. Mögen die Wertungen von Figuren und Geschehnissen in diesen Büchern auch umstritten sein, mag die kräftige Typisierung sich als einseitig und gelegentlich klischeehaft erweisen, die Er zählweise der Modernität entbehren das epische Panorama, das darin entwickelt wird, die detaillierte Schilderung von Existenzverhältnissen und Bewusstseinsprozessen, die Fülle und Farbigkeit einer Welt, die in der Kunst bis dahin eher stiefmütterlich behandelt worden war, macht dessen ungeachtet den Reiz und den Wert dieser literarischen Leistung Willi Bredels bis auf den heutigen Tag aus. Aus diesen Romanen steigt sehr lebendig eine Lebens- und Geschichtswirklichkeit hervor, deren Akteure heute aus den Zentren der gesellschaftlichen Evolution ver drängt zu sein scheinen, die aber die Weltläufe im ausgehenden 19 und im 20. Jahrhundert wesentlich mitbestimmt haben. Autoren wie Bredel haben dem Rechnung getragen. Davon wird ihr Platz bestimmt.

Der erste Band der Trilogie, «Die Väter», 1941 in Moskau zuerst gedruckt, ist seine reifste schriftstellerische Arbeit. Das Genre des Familienromans, mit Thomas Manns «Buddenbrooks» nobelpreisgeadelt, mit «Pelle der Eroberer» von Andersen-Nexö ein frühes Vorbild für Bredel, fand hier eine mustergültige Ausformung im deutschen proletarischen Milieu vor dem historisch bedeutsamen Hintergrund der Eckdaten von 1871 und 1914. Anschauungsgesättigte Szenen, treffend individualisierte Charaktere, humoristische und satirische Elemente sowie ein volkstümlicher Sprachgestus haben dem Buch eine große Leserschaft gewonnen. Demgegenüber fielen die beiden folgenden Bände ab. In ihnen drängten sich autobiografisch bedingte Zufälligkeiten und geschichtsillustrative Züge auf störende Weise vor, beeinträchtigte die oftmals ver engte Sicht des kommunistischen Funk tionärs Bredel den epischen Gang des Geschehens und die Anlage des Personals. Es sind Mängel, die in so manchen seiner Texte zu finden sind und die aus der Absicht resultieren, die Wirklichkeit nach den Prämissen parteipolitischer Beschlüsse zu modellieren. Weil er sich in einer politischen Avantgarde-Position sah, verfiel Bredel beim Schreiben auch immer wieder in die schon früher gerügten Unarten allzu großer agitatorisch-intendier ter Direktheit.

«Die Partei ruft, wie kann er da zögern», heißt es an einer Stelle in der «Prüfung».

Das war zweifellos ein weiteres Lebensprinzip dieses Autors, das seine Biografie und damit die Besonderheiten seiner Prosa, auch ihre Mängel, entscheidend bestimmte. Es stellte ihn aber auch in Wir kungszusammenhänge, die dem Hamburger Arbeiterjungen wohl niemand vorausgesagt hatte. Das gilt schon für die Zeit der Emigration, aber vor allem für die Jahre in der DDR, in denen Willi Bredel dann ein weites Tätigkeitsfeld beackert hat. Als Partei- und Kulturfunktionär, Mitglied in zahlreichen Gremien, Herausgeber der «Bibliothek fortschrittlicher Schriftsteller», Chef literarischer Zeitschriften, Präsident der Akademie der Künste übte er einen nicht geringen Einfluss aus. Seine Arbeiten über Ernst Thälmann - eine Biografie, Filmdrehbücher - hatten in dem im Osten Deutschlands wirkenden Erziehungskonzept einen wichtigen Stellenwert. Auf Schriftstellerberatungen plädierte er für eine gegenwartsnahe Literatur und versuchte sich selbst auf diesem schwierigen Ter rain. Im besonderen Maße aber nutzte er seine Position dazu, um der von ihm immer geargwöhnten Zurücksetzung der Arbeiterschriftsteller zu begegnen: nicht zuletzt deshalb gründete er 1947 das Literaturjournal «Heute und Morgen» als eine Art Konkurrenzorgan zu der von Johannes R. Bechers inspirierten Kulturbundzeitschrift «Aufbau», polemisierte er auf dem Schriftstellerkongress 1956 heftigst gegen Stefan Heym, der direkt die Probleme der aus der Arbeiterklasse stammenden Autoren kritisch angesprochen hatte, akzeptierte und beförderte er 1962 als Akademiepräsident die Entlassung Peter Huchels vom Posten des Chefredak teurs der international angesehenen Zeitschrift «Sinn und Form» - insbesondere dieser Vorgang alles andere als ein Ruhmesblatt.

Solche vielfältigen Aktivitäten gerade in den späten Jahren, die starke Einbindung in die Machtausübung, bescherten Bredel überaus ernsthafte Probleme in seiner eigenen schriftstellerischen Arbeit. An die erzählerische Leistung etwa der «Väter» konnte er nicht mehr anknüpfen. Die drei Bände des «Neuen Kapitel» (1959-1964) blieben selbstbespiegelnder Bericht und anekdotische Erhellung schwieriger Umstände, eingeblendet einige wenige Per len, die von seiner nach wie vor vorhandenen Fabulierkunst zeugten. Er war mit sich selbst zunehmend unzufrieden und kämpfte gegen vermutete und tatsächliche Intrigen an, in die er sich verstrickt sah. Vor allem aber wurde ihm die Kluft zwischen einer die Widersprüche eher zu- als aufdeckenden Parteipolitik und seinen schriftstellerischen Bemühungen immer mehr bewusst. Weil er im Moskauer Exil die stalinistischen Säuberungen vor Augen gehabt hatte, war ihm die Taktik des Verschweigens in seiner eigenen Partei nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zutiefst suspekt. Ich habe ihn selbst in diesen Tagen erlebt: als Mitglied des Zentralkomitees über Chrustschows Enthüllungen peinlich befragt, war er unsicher, ratlos und wütend auf diese von ihm als unwürdig empfundene Situation. Auch der Verhaftung seines Freundes Walter Janka stand er hilflos und ohnmächtig gegenüber. Er befand sich in einem tiefen Zwiespalt zwischen der verinnerlichten Parteidisziplin und seinem Ethos als realistischer Schriftsteller. Einerseits bejahte er die grundlegende Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse und die Konzeption einer auf die Massen orientierten Kultur Politik, andererseits war er mit dem bor nierten, engstirnigen Herangehen an viele Probleme, insbesondere mit ihrer schönfärberischen Verkleisterung, nicht einver standen. Verschiedentlich wurde er wegen mangelnder Entschiedenheit bei der Durchsetzung der Parteilinie öffentlich heftig attackiert, zuletzt auf dem VI. Par teitag der SED 1963. Seine Verteidigung war jedoch eher defensiv. Als Schriftsteller aber forderte er von sich in späten Notizen: «Die Wahrheit, nichts als die Wahr heit!». Doch da blieb ihm schon zu wenig Zeit, hatte er nicht mehr die Kraft, aus diesem unheilvollen Dilemma herauszukommen. Dem Druck hielt schließlich sein Herz nicht stand. Er starb mit 63 Jahren.

Nach 1990 hat man häufig Straßen, Schulen, Bibliotheken, die seinen Namen trugen, umbenannt. Bredels Werke, selbst die besten, sind rar in den Buchhandlungen. Welch ein Mangel an historischem Sinn, welches Unverständnis für geschichtlich besondere literarische Qualitäten! Und Beleg dafür, dass dieser Schriftsteller, selbst da, wo er scheiterte, seinen kurzsichtigen Liquidatoren in mancher Hinsicht überlegen war. Das an seinem 100. Geburtstag festzustellen gebietet die historische Gerechtigkeit.

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