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  • Politik
  • Otto Niemeyer-Holstein in der Neuen Galerie Lüttenort

Ein Lichtblick

  • Peter Röske
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf der Insel Usedom liegt zwischen Zempin und Koserow an der schmälsten Stelle der Insel das Gehöft Lüttenort, das der Maler Otto Niemeyer-Holstein von 1933 bis zu seinem Tod im Jahre 1984 erbaute und bewohnte. Noch heute ist es ein wenig verändertes Refugium mit einer umfangreichen Sammlung von Arbeiten des Malers im Atelier und in den Wohnräumen sowie einer kleinen Galerie mit Bildern von Freunden. Sorgfältig angelegt wurde ein Künstlergarten, in dem eine üppige Vegetation mit vielen seltenen Pflanzen die prächtige Kulisse für mehr als 30 Skulpturen, u. a. von Waldemar und Sabina Grzimek, Gustav Seitz, Fritz Cremer, Werner Stötzer, Wieland Förster, Sabine Teubner, Peter Makolies, bildet. Die Urzelle für die beiden Wohnhäuser ist ein S-Bahn-Waggon, der 1933 mühevoll von Berlin nach Usedom transportiert worden war und der später umbaut wurde.

Nachdem Annelise Niemeyer wenige Monate nach ihrem Mann gestorben war, wurde Lüttenort entsprechend dem Willen des Ehepaares zum Museum, das sich von Anfang an nicht über mangelndes Interesse zu beklagen brauchte. Nach 1989 konnte die Auflösung des Anwesens ver hindert werden. Durch das Engagement der Familie, der Leiterin des Gedenkateliers, Franka Keil, und des Freundeskreises Otto Niemeyer-Holstein wurde der Fortbestand des Museums erreicht.

In seinen letzten Lebensjahren hatte Otto Niemeyer-Holstein geplant, auf seinem Anwesen eine Galerie zu errichten. Nach Entwürfen von Freunden des Künstlers, den Architekten Siegbert Langner von Hatzfeldt und Heinz Schönwälder, wurde in den vergangenen Jahren ein Galerieanbau realisiert und Mitte April dieses Jahres »Die Neue Galerie« in Lüttenort feierlich eingeweiht. Der Galerieanbau fügt sich wie selbstverständlich in das Ensemble der Gebäude und in die Landschaft des Künstlergartens ein. Ein großer Ausstellungsraum mit günstigen Lichtverhältnissen ermöglicht nun das, was dem Künstler in seinem Vermächtnis vorgeschwebt haben mag, Lüttenort zu einem »Ort der Begegnung« zu machen. Mit dem Galerieanbau gelang eine vor zügliche architektonische Leistung.

Die in der Neuen Galerie eröffnete Ausstellung »Otto Niemeyer-Holstein - Gemälde und Aquarelle 1919-1984« bietet anhand von exemplarischen Beispielen einen Überblick, macht das künstlerische Ringen um die gültige Form sichtbar, in ihr sind die stilistischen Veränderungen ablesbar, die sich im Laufe von mehr als sechs Jahrzehnten in Niemeyers Werk vollzogen. Es sind vorwiegend Bilder ausgestellt, die für den Künstler besonders wichtig waren, Bilder, die in der Begegnungsstätte Lüttenort verbleiben sollten. Der gesamte Niemeyersche Kosmos ist präsent, seine Selbstbefragungen aus ver schiedenen Zeiten (es beginnt mit einem »Selbstbildnis« von 1927 und reicht bis zu dem großartigen Altersbildnis »Selbst mit Brille« von 1983), die Huldigungen an weibliche Schönheit, seine Porträts, die Ostsee, die er einst als seine große Geliebte bezeichnet hatte, die Impressionen von seinen zahllosen Reisen und aus dem heimatlichen Garten.

In der festlichen Eröffnung dieser Ausstellung erfüllte Inge Keller mit der Rezitation der Goethe-Worte »Urworte. Or phisch« eine Bitte, die Otto Niemeyer Holstein vor Jahrzehnten geäußert hatte. Es wurde ein glanzvoller Auftritt einer großen Dame, würdevoll und eindringlich. Den Klang der Worte und die Gesten der Schauspielerin wird man nicht so schnell vergessen.

Die Vorsitzende des »Freundeskreises Otto Niemeyer-Holstein«, die Malerin Sabine Curio, sprach in ihrer Laudatio auf den Maler die Forderung aus, dass diese Kunst, die dem Humanismus verpflichtet ist, auch öffentlich zugänglich sein muss, nicht nur in Lüttenort oder in der Kunsthalle seiner Heimatstadt Kiel. Der Katalog zur Ausstellung weist es aus, viele Museen, vor allem im Osten Deutschlands, besitzen zum Teil recht umfangreiche Bestände, aber nur Weniges ist in den Dauerausstellungen zu sehen. Bedeutende Meisterwerke, nicht nur von Otto Niemeyer-Holstein, schmoren in den Magazinen und Depots. Die nicht enden wollenden Diffamierungskampagnen, die grotesken »ein- und ausgegrenzten Bestandsaufnahmen« und die Sichtweise der Importe in den Chefetagen verhindern mehr oder weniger erfolgreich eine faire Sicht auf die Kunst, die in der DDR entstanden ist.

Ich wurde in einer Ausstellung mit Niemeyerscher Kunst gefragt, ob das Kunst eines Dissidenten oder Staatskunst sei. So naiv diese im näselnden Tonfall formulierte Frage auch gewesen sein mag, spiegelt sie doch das holzschnittartige Schwarz-Weiß-Raster eines bestimmten Zeitgeistes recht genau wider. Dass es sich »nur« um eine höchst subjektive, hervor ragende eigenständige Malerei handelt, dass Künstler hierzulande die Möglichkeit hatten, sich selbst und ihre Sicht auf die Welt zu verwirklichen, kommt in diesem Raster nicht vor. Freilich waren dazu Talent und selbstverständlich auch ein wenig Mut erforderlich.

Die Eröffnung der Neuen Galerie in Lüttenort ist ein Lichtblick. Hier kann man - getreu dem Anliegen von Otto Niemeyer Holstein - seine Arbeiten ständig in mustergültiger Umgebung betrachten. Eine Reise nach Mecklenburg-Vorpommern, auf die Insel Usedom lohnt sich, nicht nur wegen Niemeyer.

Die Neue Galerie Lüttenort. Bis 15. Oktober- täglich 10-18 Uhr. Ab 16. 10. 2001 bis 14.04. 2002. Mi, Do, Sa. So 10-16 Uhr. Das Gedenkatelier Otto Niemeyer-Holstein ist weiterhin nur mit Führungen zu besichtigen. Tel. (038375) 202 13

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