Bachelet weiß Kommunisten hinter sich

Sozialistische Kandidatin ist klare Favoritin

  • Jürgen Vogt, Santiago de Chile
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei den Präsidentschaftswahlen in Chile am Sonntag gilt die Sozialistin Michelle Bachelet als große Favoritin und Evelyn Matthei als aussichtsreichste Konkurrentin. Beider Väter waren Waffenkameraden und Freunde – bis sie der Militärputsch Augusto Pinochets 1973 zu Gegnern machte. Die Familie Bachelet wurde verfolgt, die Familie Matthei kollaborierte. Bachelet genießt seit ihrer 
Präsidentschaft (2006-2010) hohes 
Ansehen im Land. Die Kommunistische Partei Chiles hat sich dieses Mal entschlossen, die Kandidatur Michelle Bachelets mitzutragen. 2005 war dies noch nicht der Fall.

Am Eingang zur Kommune La Florida lächelt eine übergroße Camila Vallejo vom Wahlplakat. Hier, im Süden der chilenischen Hauptstadt Santiago, kandidiert die ehemalige Studentenführerin und Kommunistin für einen Sitz im Kongress. La Florida ist mit über 300 000 Menschen die zweitgrößte Gemeinde des Landes. Vor 20 Jahren war hier überwiegend noch Acker- und Grasland und Viehweide. Anfang der 70er Jahre wurde die erste große Siedlung gebaut. Das war der Startschuss. Und seit vor sechs Jahren die U-Bahn bis nach La Florida verlängert wurde, ist die Gemeinde direkt mit dem Stadtzentrum verbunden.

»Ich werde ihr am Sonntag die Stimme geben«, sagt Claudio Rodríguez und lenkt seinen Wagen von der Avenida nach links in die kleine Seitenstraße. Vorbei geht es an drei Meter hohen Zäunen, die die einzeln stehenden flachen Häuser von der Straße abschotten. Rodríguez ist seit 20 Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei. Die hat sich erstmals bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dem Bündnis aus Christdemokraten, Sozialisten und Sozialdemokarten angeschlossen.

Noch immer hat die Verfassung von 1980 aus der Zeit der Pinochetdiktatur (1973-1990) Chile fest im Griff, noch immer herrscht die neoliberale Wirtschaftsordnung, die das Private über alles stellt. 20 Jahre stellte das als Concertación bezeichnete Mitte-Links-Bündnis die Regierung, bis es im Dezember 2009 erstmals von der rechten Allianz für Chile geschlagen wurde. Grundlegende Veränderungen hat es in den ganzen 24 Jahren nicht gegeben.

Claudio Rodríguez war dennoch nicht überrascht, dass sich seine Partei diesmal an dem Bündnis beteiligt. »Neue Mehrheit« nennt sich jetzt das Mitte-Links-Bündnis, das die Kandidatur der Sozialistin Michelle Bachelet trägt, die allen Umfragen zufolge zum zweiten Mal in den Präsidentenpalast La Moneda einziehen wird. »Diesmal wollen wir teilhaben an der Regierung und nicht nur helfen, sie ins Amt zu bringen«, sagt der Kommunist und es klingt, als würde er die Parteilinie zitieren. Auch Camila Vallejo, das Gesicht der Studentenbewegung, musste ihren Kommilitonen erklären, warum sie jetzt mit denen im Boot sitzt, gegen die sie jahrelang gewettert hatte. Sie sei nie gegen das Parteiensystem gewesen, sondern schon immer ein Teil davon. Und es komme jetzt darauf an, Änderungen von innen zu bewirken und nicht von außen.

Für beide ist jedoch wichtig, dass die Präsidentschaftskandidatin die Themen Bildungsreform, Steuerreform und Verfassungsreform als die drei wichtigsten Achsen in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat. Während ihrer ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 konnte oder wollte Bachelet an diesen Achsen jedoch nicht rühren.

Dass die 62-jährige Sozialistin Michelle Bachelet gewinnt, gilt als sicher. Die Frage ist nur, ob sie es am Sonntag bereits im ersten Wahlgang schafft oder im Dezember in die Stichwahl muss? Und wenn ja, gegen wen wird sie dann gewinnen?

Die besten Aussichten auf eine zweite Runde hat von den acht Konkurrenten Evelyn Matthei. Schafft am Sonntag niemand den Sprung über die 50-Prozent-Marke, käme es in der Stichwahl vermutlich zu einem denkwürdigen Frauenduell. Bachelet und Matthei sind beide Töchter von Generälen der Luftwaffe. Sie besuchten die gleiche Schule, als die Familien in der Luftwaffenbasis Cerro Moreno lebten, und ihre Eltern kannten sich auch privat. Doch spätestens mit dem Putsch am 11. September 1973 trennten sich die Wege. Bachelets Vater wurde als Allende-Anhänger verfolgt, gefoltert und starb 1974 unter ungeklärten Umständen, Mutter und Tochter gingen nach Haft und Folter ins Exil, von 1975 bis 1979 war die DDR ihre Zuflucht. General Matthei war als Militärattaché in London zwar nicht am Putsch beteiligt, kehrte aber nach Chile zurück und machte auch unter Pinochet Karriere.

Für seine Tochter Evelyn als Kandidatin der rechten Allianz für Chile ist mehr als ein Achtungserfolg aber nicht drin. Das Bündnis aus sturen Pinochet-Anhängern und modernen Rechten ist in einem desolaten Zustand. In dem Versuch aufzuholen prangerte Matthei die Wahlkampffinanzierung Bachelets an. Die habe vier- bis fünfmal so viele Finanzmittel zur Verfügung wie sie selbst. »Von welchen großen Unternehmen kommt das Geld?« Offenbar setzen auch die ökonomisch bestimmenden Gruppen aus Realismus auf den Sieg Bachelets. 20 Jahre lang haben sie gute Erfahrungen mit Mitte-Links-Präsidenten gemacht. Dagegen rollte unter dem gegenwärtigen rechten Amtsinhaber Sebastián Piñera eine noch nie dagewesene Protestwelle durchs Land.

Claudio Rodríguez kennt die Befriedungspolitik der alten Concertación: »Mit einem Bein in der Regierung, mit einem Bein in den sozialen Bewegungen.« Nur so wird es den für Veränderungen erforderlichen Druck geben.

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