Mobilfunkstille in Espoo

Nach erfolgter Übernahme von Nokias Handysparte durch Microsoft trauern die Finnen - und ärgern sich über den Kaufpreis

  • André Anwar, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Dienstag stimmten die Aktionäre des finnischen Telekommunikationskonzerns Nokia fast einstimmig für den Verkauf der Handysparte an Microsoft. Nun muss sich Nokia wieder neu erfinden.

Lange wurde über den Verkauf der finnischen Mobiltelefonlegende Nokia an den US-Konzern Microsoft spekuliert. Dass es so schnell gehen und so billig für Microsoft werden würde, hatte jedoch niemand in Finnland erwartet. Am Dienstag hat die Aktionärshauptversammlung in Helsinki dem seit Anfang September öffentlich bekannten Geschäft erwartungsgemäß zugestimmt. Demnach übernimmt der US-Softwarekonzern Microsoft für 5,4 Milliarden Euro das Kerngeschäft des finnischen Konzerns - die Mobiltelefonsparte.

Die Übernahme soll im ersten Quartal 2014 abgeschlossen sein. Sie beinhaltet neben dem für 3,79 Milliarden Euro verkauften Bereich auch den Verkauf der Lizenzen für alle bisherigen Patente im Wert von 1,65 Milliarden Euro.

Finnland trauert nun um die verloren gegangene Ikone. Nokia galt einer ganzen Generation als Symbol für große wirtschaftliche Erfolge und das Aufleben der ganzen Nation nach einer im europäischen Vergleich besonders hart verlaufenen Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren. Der Kaufpreis, den die US-Amerikaner zahlten, sei »schamlos billig«, hieß es von Gewerkschaftern und einigen Branchenexperten. Viele Finnen glauben noch immer, dass Nokia eine Chance gehabt hätte.

Nokia-Chef Stephen Elop gehört derzeit zu den unbeliebtesten Persönlichkeiten in Finnland. Gewerkschafter behaupten, der Topmanager sei von Microsoft Ende 2010 nur als Trojanisches Pferd zu Nokia gewechselt, um eine möglichst billige Übernahme vorzubereiten. An das von vielen Pannen gekennzeichnete Joint Venture von Windows Phone und Nokia habe Elop nie wirklich geglaubt, so die Vorwürfe. Allerdings wird eingeräumt, dass Nokia in Schwierigkeiten gewesen sei. Vor allem habe das Design versagt. Im Wachstumsmarkt der Smartphones mit berührungsempfindlichen Displays sei Nokia deshalb trotz großer Anstrengungen untergegangen.

Nokia war lange der größte privatwirtschaftliche Steuerzahler des nordischen Landes und stand auch für 40 Prozent aller privaten Forschung und Entwicklung in Finnland. In der besten Zeit fanden dort 25 000 Menschen Arbeit. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung, war das für das kleine Finnland so bedeutend wie alle Arbeitsplätze bei Daimler und Volkswagen für Deutschland.

Seit den 1990er Jahren führte Nokia mit seinem Hauptsitz im südfinnischen Espoo den weltweiten Markt für Mobiltelefone unangefochten an. Branchenexperten rechnen nun damit, dass man bei Microsoft nicht mehr an den Markennamen Nokia glaubt. In einem Jahr werde Microsoft oder etwas anderes auf den Telefonen stehen, wird befürchtet.

In Finnland hofft man nun auf den verbliebenen Rest des Nokia-Konzerns. Die soll vor allem im Netzwerkbaubereich, wie die schwedische Firma Ericsson, punkten können. Schließlich hat sich Nokia seit seiner Gründung im Jahr 1865 schon mehrmals verwandelt: Aus dem Papiermühlenunternehmen wurde ein Gummistiefelhersteller, ein Fernseh- und Radiogeräteproduzent und später ein Telefonhersteller. Zudem hoffen viele ehemalige Mitarbeiter, mit bereits neu gegründeten kleinen, aber flexiblen Firmen Finnland zu einem Eldorado für innovative Zulieferdienste für die weltweite Kommunikationsindustrie zu machen.

Auch die Computerspieleindustrie Finnlands die etwa das weltbekannte Spiel »Angry Birds« konzipierte, ist im Aufschwung. All das kann die wirtschaftliche Bedeutung von Nokias Mobiltelefonbranche aber nicht aufwiegen. Weltweit werden nun 32 000 Mitarbeiter und vier Nokia-Spitzenmanager gemeinsam mit Elop zu Mi-crosoft wechseln. In Finnland selbst gehen 4700 Angestellte zum US-Konzern. Im hohen Norden solle jedoch alles bleiben, was zur Mobiltelefonsparte gehöre, inklusive der zentralen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, verspricht Microsoft. Zudem wolle man in Finnland investieren.

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