Geschlechter von der Rolle

Im Kino: »Venus im Pelz« von Roman Polanski

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 3 Min.

Roman Polanski, der im August seinen 80. Geburtstag feierte, lässt anno 2013 viele seiner jüngeren Regiekollegen alt aussehen. Der körperlich kleine, künstlerisch riesige Cineast mit der hochstehenden Sturmfrisur wirkt immer noch wie ein energiegeladener Jugendlicher. Obwohl das Unglück den in Paris als Rajmund Roman Liebling geborenen polnisch-russischen Juden mehrfach mit großer Härte traf: Seine im sechsten Monat schwangere Mutter wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Mehr als zwei Jahrzehnte später metzelten Anhänger des Sektenführers Charles Manson seine ebenfalls hochschwangere Schauspieler-Gattin Sharon Tate nieder.

In den letzten drei Jahren hat Polanski gleich drei Filme gedreht: Nach dem Thriller »Der Ghostwriter« (2010) und der schwarzen Komödie »Der Gott des Gemetzels« (2011) folgt mit dem Cannes-Wettbewerbsbeitrag »Venus im Pelz« nun ein Erotik-Kammerspiel. Es ist die Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von David Ives, das wiederum auf der zeitweise indizierten, berühmten Novelle von Leopold von Sacher-Masoch aus dem Jahr 1870 basiert.

Während in der ursprünglichen Geschichte ein freiwilliger Sklave von seiner Geliebten unterworfen wird, möchte bei Polanski dessen jüngeres Alter Ego Mathieu Almaric, das den Theaterregisseur Thomas spielt, die Novelle auf die Bühne bringen. Keine der Aktricen, die vorsprechen, erfüllt seine hohen Erwartungen. Verspätet trifft die vulgäre Vanda (Polanskis jetzige Ehefrau Emmanuelle Seigner) ein. Sie kennt nicht Sacher-Masochs Geschichte, sondern nur den gleichnamigen Velvet-Underground-Song des kürzlich verstorbenen Lou Reed und scheint alles zu verkörpern, was Regisseur Thomas abstößt. doch genau deswegen ist sie für die Rolle im Stück genau die Richtige. Immer mehr wird er in ihren Bann gezogen, bis sie ihn schließlich auch in der realen Welt vollkommen dominiert.

Die fünfte Verfilmung des Stoffes ist - nach der freien Bearbeitung des in diesem Jahr verstorbenen Kult-Regisseurs Jess Franco - die beste: Seit »Das Messer im Wasser« (1962) gelingt es Polanski immer wieder, Psychoduelle auf engstem Raum zu inszenieren.

Querverweise zu Macht- und Rollenspielen in seinen eigenen Filmklassikern dürfen nicht fehlen: »Ekel«, »Wenn Katelbach kommt« (beide 1965), »Der Tod und das Mädchen« (1994) und natürlich »Bitter Moon« (1992), in dem er bereits Emmanuelle Seigner gewagt (und gekonnt) sadomasochistische Fantasien vor der Kamera ausleben ließ, lassen grüßen. Von Altersmilde dabei keine Spur.

Ohne inhaltlich zu viel vorwegzunehmen: Die Einstellung, in der Seigner den anfangs arrogant agierenden Almaric von seinem hohem (Regie-) Ross stößt und ihn gänzlich erniedrigt, indem sie ihn an einen überdimensionalen Kaktus-Penis fesselt, hat großes Kult-Potenzial. Doch nicht nur die Schauwerte und die ironische Orchestermusik von Alexandre Desplat stimmen - auch die mal bewusst proletenhaften, dann wieder messerscharfen Dialogzeilen Seigners im von Polanski selbst geschriebenen Drehbuch sezieren (und demontieren) genüsslich die üblichen Mann-Frau-Klischees. Schon das meisterlich stilisierte Filmplakat, das ebenso wie der Film auf das Wesentliche reduziert ist und nur mit den Farben Rot, Schwarz und Weiß auskommt, zeigt, worum es bei »Venus im Pelz« im Jahre 2013 geht: Mit dem Stiletto-Absatz zerbricht ein mit High Heels bekleideter schlanker Frauenfuß das Glas einer auf dem Boden liegenden Männerbrille. Polanski steht schließlich für neue Sehgewohnheiten.

»Für meinen Film hatte die sexistische Vorlage etwas sehr Anziehendes - oder besser: die Satire auf den Sexismus«, sagt Polanski, dem bis heute in den USA der Vorwurf gemacht wird, in den 1970er Jahren eine Minderjährige vergewaltigt zu haben: »Der Theaterregisseur hat einen machohaften Charakter, der Stück für Stück demontiert wird. Das umzusetzen, hat mir Spaß gemacht, ganz egal, was die Menschen von mir denken.«

Seine äußerst freizügige »Venus im Pelz« lässt den Zuschauer zum Voyeur eines verschärften Geschlechterkampfs zwischen zwei glänzend aufgelegten Schauspielern werden. Wetten, dass nach dem Kinobesuch Diskussionsbedarf zwischen Frau und Mann besteht?

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