Theater im Untergrund

Erkenntnisse einer Thüringer Obfrau beim Münchner NSU-Prozess

  • Lesedauer: 3 Min.
Katharina König ist Obfrau der Linksfraktion im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. In dieser Woche saß sie wieder einmal auf der Zuschauertribüne des Oberlandesgerichts in München (OLG). Dort wird seit Mai gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Männer verhandelt, die als Helfer des rechtsextremistischen Netzwerkes angeklagt sind. Mit Katharina König sprach 
René Heilig.

nd: Als »nett, freundlich, hilfsbereit« wurden die mutmaßlichen NSU-Mörder in dieser Woche von Zeugen dargestellt. Die hatten fünf Jahre lang mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und der Angeklagten Beate Zschäpe Urlaub an der Ostsee gemacht. Wie passt das mit den schrecklichen rassistischen Taten des NSU zusammen?
Katharina König: Das passt leider gut. Wir haben bei den Tätern auf der einen Seite das »politische Leben« und auf der anderen das »notwendige Leben«. Die Drei haben Rollen übernommen.

Was ist mit der Mörderrolle? 2007, als die Urlaubsbekanntschaften begannen, hatten die Terroristen bereits ihre zehn Morde verübt.
Beim »Theaterspielen« haben sie sich sicher auch so gegeben, wie sie vielleicht gerne gelebt hätten. Wir haben gehört, dass sie sich viel mit den Kindern der Camperfamilien beschäftigt haben. Wer weiß, vielleicht hätte Zschäpe ja gerne Kinder gehabt? Und einen guten und vor allem legalen Verdienst, um sich schöne Klamotten leisten zu können. Und und und ...

Knapp vorbei an Blood&Honour

Nach über 60 Verhandlungstagen näherte sich der Münchner NSU-Prozess in dieser Woche dem Neonazi-Helfer-Netzwerk »Blood&Honour«. Der Cousin der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, einst selbst rechter Skinhead, der den sogenannten Kühnen-Gruß zeigte und bei Kreuzverbrennungen dabei war, deutete seine Teilnahme an Blood&Honour-Konzerten an. Gemeinsam mit dem mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Mundlos ist er dazu unter anderem nach Magdeburg und Chemnitz gefahren, lernte dabei sogar führende Blood&Honour-Leute kennen. Viele von denen gehörten später zu den maßgeblichen Unterstützern der rassistischen Terrorgruppe.

Doch das Gericht ging dem nicht auf den Grund. Warum? Aus Unkenntnis der damaligen militanten Nazistrukturen? Eine gewisse »Unlust«, sich mit Blood&Honour zu befassen, ist auch bei polizeilichen Staatsschützern und Geheimdienstlern zu verspüren. Obwohl man über Ermittlungen in dem Bereich zu Erkenntnissen über die internationalen Neonazi-Vernetzung gelangt. hei

Die Bekannten waren allesamt älter. Zufall?
Wahrscheinlich nicht. Mit Gleichaltrigen könnten sich womöglich enttarnende Gespräche ergeben, die man mit Älteren nicht befürchten muss. Gleichaltrige hätten vielleicht nicht so schnell geglaubt, dass Böhnhardts Tätowierungen - sie zeigten einen Totenkopf und einen Stahlhelm - nur Jugendsünden sind.

Kann man so die Rollen wechseln: heute hilfsbereiter, netter Nachbar, morgen eiskalter rassistischer Mörder?
Genau das macht das perfide Perfekte aus. Sie haben ihr Leben nicht gänzlich neu erfunden. Sie haben nur so viel wie nötig gelöscht und hinzugedichtet. Mundlos beispielsweise hat von seiner Familie erzählt, davon, dass sein Vater Informatik-Professor war und dass er selbst gerne studiert hätte.

Kriminalisten suchen beim Aufrollen eines Falls immer nach sogenannten Anfassern. Davon gab es doch reichlich. Allein schon die Tatsache, dass selbst hohe Rechnungen immer nur bar beglichen wurden, sollte stutzig machen.
Wen? Überdies: 2007 hingen die Fahndungsplakate doch schon etliche Jahre nicht mehr. Die Haftbefehle waren ausgelaufen. Die Urlauber waren nicht mehr die drei jugendlichen Faschos, auf dem Campingplatz erholten sich zwei sportliche junge Männer und eine modisch angezogene junge Frau.

Sie sind Obfrau der Linksfraktion im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Gibt es in Erfurt so wenig zu tun, dass Sie zum Prozess nach München fahren?
In München zuzuhören, ist hilfreich und notwendig. Beispielsweise werden hier Leute gehört, die können wir in Thüringen nicht vorladen.

Nicht können oder nicht wollen?
Das sind schon oft zeitliche Gründe. Zum anderen wollen wir Neonazis kein öffentliches Forum bieten. Beispielsweise schicken wir dem ehemaligen Chef des Thüringer Heimatschutzes und V-Mann Tino Brandt keine Zeugenladung. Das betrifft auch André Kapke. Der war so etwas wie die rechte Hand des in München angeklagten Ralf Wohlleben.

Es gibt viele Gründe zum Hiersein. Unter anderem hat die Mutter von Uwe Böhnhardt in der vergangenen Woche vor dem Gericht Dinge erzählt, die sie bei der Befragung vor unserem Thüringer Ausschuss nicht berichtete. Man kann darüber spekulieren, warum das so ist. Wichtig aber ist, dass alle möglichen Informationsquellen zur Aufklärung der NSU-Verbrechen genutzt werden. Frau Böhnhardt hat da etwa von einem »jungen hübschen Mann« gesprochen, der von ihr Sachen für den untergetauchten Sohn entgegengenommen habe. Die Information ist neu. Aber es ist kein Geheimnis, dass es so viele junge hübsche Männer in der Thüringer Naziszene nicht gab.

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