Der Wirtschaftsjurist als Weihnachtsgans
Eine Heiratsschwindlerin und ihr Adoptivvater hielten sich an einem Topverdiener schadlos
»Der diskrete Charme der Bourgeoisie«, so lautete der Titel eines Films von Luis Buñuel aus dem Jahre 1972 - bekannt wegen seiner surrealistischen Erzählweise. Surrealistisch bis bizarr ist auch der Fall, der derzeit vor dem Oberlandesgericht München I verhandelt wird und der Einblicke in die merkwürdige Welt des wohlhabenden Establishments gibt. Es ist eine unglaubliche Mischung aus Betrug, Lügen, Morddrohungen und Mafia. Bei den Protagonisten handelt es sich um eine angebliche Prinzessin, einen Ex-Ministerialrat der bayerischen Staatskanzlei und um einen erfolgreichen Wirtschaftsjuristen.
Die herrschaftliche 400-Quadratmeter-Wohnung in der Münchner Konradstraße 4 liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Instituts für Soziologie der Universität München, das in der Hausnummer sechs untergebracht ist. Während man sich im Institut eher theoretisch mit sozialen Klassen und Ungleichheit beschäftigt, ging das im Nebenhaus ganz praktisch über die Bühne. Dort kaufte sich im August 2008 der Wirtschaftsjurist Peter K. die weitläufige Etage für 2,18 Millionen Euro. Peter K. ist beruflich in einer Welt unterwegs, in der es um große Firmen und das große Geld geht. Er berät als Anwalt Unternehmen bei Fusionen, Outsourcing oder Lizenzverträgen. Da bleibt etwas Geld übrig, für ihn mindestens 23 000 Euro Einkommen im Monat.
Doch für Peter K. stimmt der Satz von Rio Reiser »Geld macht nicht glücklich, beruhigt aber die Nerven« gar nicht. Es bringt ihn nicht nur an den Rand eines Nervenzusammenbruchs, sondern auch in Todesängste. Damit zu tun hat seine Ehefrau Christine, die er im Juli 2008 in Las Vegas heiratete und die derzeit wegen Betrugs als Angeklagte vor dem Münchner Gericht steht. Die 29-Jährige war im August 2008 in die gemeinsame Wohnung eingezogen und bald war ihr Adoptivvater Clemens L. nachgefolgt. Der promovierte Jurist kommt aus einer sehr speziellen Welt: die der bayerischen Staatskanzlei. Dort war Clemes L. bis 2005 als Ministerialrat in der Abteilung C1 für den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber tätig. In der Abteilung C1 werden, so schrieb damals »Der Spiegel«, »die kleinen und großen Gemeinheiten ausgeheckt, mit denen die Staatskanzlei in ihren Depeschen regelmäßig Helmut Kohl und seine Minister zu quälen pflegt«. Das machte Clemes L. solange, bis Stoiber nach Berlin ging und der damals 48-Jährige Ministerialrat zum Ex-Ministerialrat wurde. Mit 2400 Euro Bezügen wurde er in den Ruhestand geschickt. Um das Einkommen aufzubessern, schrieb der Jurist Artikel für die rechtsextreme National-Zeitung. So etwas hat in Bayern Tradition, der ehemalige bayerische Kultusminister und Rechtsprofessor Theodor Maunz von der CSU tat dies jahrelang anonym, wie nach seinem Tod 1993 bekannt wurde. Die Festschrift zum 80. Geburtstag des NSDAP- und SA-Mitglieds Maunz gab übrigens der Vater von Clemens L., ein bekannter Rechtsprofessor, heraus.
So lebten 2009 in der Konradstraße 4 schließlich der 45-jährige Wirtschaftsjurist Peter K. mit seiner 30-Jährigen Ehefrau Christine und deren 52-jährigen Adoptivvater Clemens L. zusammen. Und nicht zu vergessen zehn Chihuahua-Hunde, die auch im Ehebett nächtigten. Bizarr an dieser Wohngemeinschaft aber war das Lügengespinst, in das sich der Wirtschaftsjurist einweben ließ und das von der erheblichen kriminellen Energie des Ex-Ministerialrats zeugte: L. ist inzwischen rechtskräftig zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.
Kennen gelernt hatte Peter K. seine spätere Ehefrau über eine Kontaktbörse im Internet, wobei sich die heute Angeklagte mütterlicherseits als der Spross eines uralten, steinreichen italienischen Adelsgeschlechts - »di Fontanelli« - ausgab. Und im Hintergrund gebe es einen mächtigen Großonkel mit Verbindungen zur Mafia und höchsten Regierungskreisen. Dieser Großonkel wurde von Adoptivtochter und Adoptivvater immer mehr zu einer gefährlichen Bedrohung aufgebaut. Sie machten den Wirtschaftsjuristen in einer Räuberpistole glauben, dieser Großonkel sei gegen die Beziehung, seine Fäden reichten bis nach München und er habe zwei Leibwächter für die angebliche Prinzessin abgestellt. Nach der Trauung in Las Vegas hieß es, entscheidend für die italienische Familie sei die kirchliche Hochzeit. Der Wirtschaftsjurist geriet immer mehr in einen Taumel aus Bedrohung und Todesangst. Nach Streitigkeiten, so die Anklage, habe seine Ehefrau ihm wider besseres Wissens zu verstehen gegeben, dass eine Scheidung nach den in der Familie geltenden Regeln nicht möglich sei und er eine Trennung nicht überleben, sondern am Strand von Rimini einbetoniert werde. Der Ehemann glaubte schließlich, von den Sicherheitsleuten permanent überwacht zu werden und dass die Wohnung und sein Telefon abgehört werden.
Besänftigt werden konnte der angebliche Großonkel in Italien nur durch fortwährende Geldgeschenke. So überschrieb Peter K. die Wohnung auf seine Ehefrau und zahlte zusätzlich mindestens 600 000 Euro in bar. Meist nahm der Adoptivvater der »Prinzessin« - der Ex-Ministerialrat aus der Staatskanzlei - das Geld in Empfang, um es an den Großonkel weiterzuleiten. In Wirklichkeit, so das Gericht, kauften die Angeklagten davon Kunstwerke und Antiquitäten über das Internet, die dann nahezu täglich als Teile des angeblichen Erbes der Prinzessin in der Konradstra-ße 4 angeliefert wurden. Dort lagerten bald mehr als 1000 Gemälde.
Es sind die Details dieser bizarren Geschichte, die surrealistisch erscheinen. Die - immer wieder verschobene - kirchliche Trauung musste aus »Familientradition« im Winter stattfinden, damit Schnee auf das Haupt der Braut fallen könne. Der Wirtschaftsjurist fror deshalb schon mal im Dezember Schnee im Tiefkühlfach des Kühlschranks ein. Wegen der Schweinegrippe durfte er sein Büro nur noch nachts und dann mit Mundschutz betreten. Manchmal musste er ganz zu Hause bleiben, wegen der Gefahr durch die Leibwächter. Schließlich gab er seinen Job als Rechtsanwalt auf.
Der Jurist ließ sich ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Am Ende war er nicht nur die Wohnung und sein Barvermögen los, sondern hatte auch bei diversen Banken hohe Schulden angehäuft. Im November 2010 kam das Ende des Dramas. Peter K. hatte nun endgültig kein Geld mehr. Seine Ehefrau stellte ihm den Koffer vor die Türe. Daraufhin flüchtete er in Todesangst vor den angeblichen Leibwächtern aus dem Haus und ging schließlich zur Polizei. Die Heilsarmee stellte ihm eine Wohnung, er selbst beantragte Hartz-IV.
Im Juni diesen Jahres wurde vor dem Oberlandesgericht München der Ex-Ministerialrat zu vier Jahren Haft verurteilt, er hatte den Betrug gestanden. Derzeit läuft in gleicher Sache das Verfahren gegen die Ex-Ehefrau des Wirtschaftsjuristen, der Prozess wird am 3. Dezember fortgesetzt.
Die 400-Quadratmeter-Wohnung in der Münchner Konradstraße musste übrigens angeblich auf »Anordnung« des Großonkels wieder verkauft werden. Man erzielte 2010 einen Preis von 2,5 Millionen Euro, was einem Mitnahmegewinn von an die 300 000 Euro in zwei Jahren entspricht. Was für ein Anschauungs-Unterricht für die Soziologen im Nebenhaus.
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