Auf nach Shanghai!

Neue PISA-Studie: Chinesische Sonderwirtschaftszonen belegen die Spitzenplätze

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Von Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.
China ist als das neue PISA-Musterland, Finnland steigt ab, Deutschland auf. Auf diesen einen Satz lässt sich das Ergebnis der am Dienstag in Berlin vorgestellten PISA-Studie reduzieren.

2001, bei der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie, waren die Finnen überrascht, als sie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum Bildungsmusterland erkoren wurden. So richtig erklären könne er sich den ersten Platz nicht, meinte Jahre später Matti Meri, damals Direktor der erziehungswissenschaftlichen Abteilung der Universität Helsinki. Vielleicht, so mutmaßte Meri 2007 auf einem Vortrag in Berlin, liege das Geheimnis des finnischen PISA-Erfolgs in der Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und damit im Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen sowohl der Lehrer wie auch der Schüler. »Diese Kompetenz ist zentraler Bestandteil der finnischen Lern- und Lehrkultur.«

In Deutschland blickt man allerdings seit dem PISA-Schock vor mehr als zehn Jahren eher nach außen, als sich mit den eigenen Schwächen und Stärken auseinanderzusetzen. Nach 2001 pilgerten Bildungspolitiker und -fachleute in Scharen nach Finnland, die Berliner PDS machte mit dem Slogan »Berlin wird skandinavisch schlau« 2005 sogar Wahlkampf in der Hauptstadt. In der Folge wurden mit Blick auf die skandinavischen Länder Schulen und Unterricht reformiert.

Konsequenterweise müssten GEW-Lehrer, Bildungsexperten und linke Bildungspolitiker jetzt nach Shanghai, Hongkong und Macau reisen. Diese drei chinesischen Regionen haben die skandinavischen Länder nämlich von den Spitzenrängen verdrängt. Einzig Finnland kann sich noch im oberen Drittel behaupten, Schweden – bei PISA 2000 noch weit vor Deutschland platziert – fiel ins Mittelmaß zurück. Mit 514 Punkten erzielten Schüler aus Deutschland in Mathematik einen Wert, der mehr als 20 Punkte über dem OECD-Durchschnitt liegt. Laut PISA-Forscher entspricht das einem Vorsprung von einem halben Schuljahr. Gleichermaßen positiv lautet der Befund für die Bereiche Leseverständnis und Naturwissenschaften. Erstmals liegen damit 15-Jährige aus Deutschland im internationalen Vergleich über dem OECD-Schnitt.

Erfolge für Deutschland vermeldet die OECD auch in anderer Hinsicht. So erreichen mittlerweile 82 Prozent in Mathematik das Kompetenzniveau Zwei, beherrschen also mathematische Grundfertigkeiten, die laut der OECD erforderlich sind, »um voll am Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen«; vor zehn Jahren betrug der Anteil lediglich 78 Prozent.

Ähnlich sieht es bei den Schülern mit sogenanntem Migrationshintergrund aus. Lagen deren Ergebnisse 2003 noch 81 Punkte unter denen von Schülern ohne Einwanderungsbiografie, so verringerte sich der Abstand jetzt auf 54 Punkte (eineinhalb Schuljahre). Mit 28 Prozent ist jedoch der Anteil derjenigen Migrantenkinder, die unterhalb des Kompetenzniveaus Zwei abgeschnitten haben, nach wie vor doppelt so hoch wie der von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (14 Prozent).

Aufgeholt hat Deutschland auch beim Thema soziale Chancengleichheit. So ist der Anteil der Schüler, die im Mathetest trotz schwieriger sozio-ökonomischer Verhältnisse gut oder sehr gute Ergebnisse erzielten, gegenüber 2003 von 5,7 auf sieben Prozent gestiegen. Allerdings liegt Deutschland damit nur unwesentlich über dem OECD-Durchschnitt (6,5 Prozent) und abgeschlagen hinter den meisten asiatischen Ländern; in Hongkong erreichten mindestens 13 Prozent der sozial benachteiligten 15-Jährigen bessere Leistungen, als mit Blick auf ihren sozialen Hintergrund zu erwarten gewesen wäre.

Für PISA-Kritiker wie den Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer sind solche Erkenntnisse allerdings bloße Tabellenspielereien. Die Schüler in Deutschland seien nach 2001 mehr oder weniger systematisch auf die Testverfahren von PISA hin trainiert worden. Schon vor Veröffentlichung der aktuellen Studie prophezeite er daher einen »Aufstieg« Deutschlands in der PISA-Hitparade. Die Schüler hätten eben gelernt, sich auf das zu konzentrieren, was die Tester angekreuzt oder hingeschrieben haben wollen», kritisierte Meyerhöfer kürzlich im nd-Interview, PISA fröne einem «oberflächlichen Mathematismus».

Mit der Kritik steht Meyerhöfer nicht allein. In Frankreich etwa blickt man seit einiger Zeit zunehmend kritischer auf die Studie. Der Vorwurf: PISA folge dem US-amerikanischen Verständnis von Bildung, das auf eine besondere Praxisverwertbarkeit von Wissen Wert lege, wohingegen in der traditionellen europäischen Bildungsphilosophie der Schwerpunkt auf der mathematischen Beweisführung liege.

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