Abenteuer im Zauberwald von Brocéliande
Wanderangebot »Chlorophyll und Schmetterlinge« lockt zur Suche nach dem Heiligen Gral in die Bretagne
Wenn man mitten im Wald einer Frau begegnet, die mit Raubvögeln »Gassi« geht, glaubt man garantiert, nicht mehr ganz Herr seiner Sinne zu sein. Und spätestens, wenn so ein Bussard oder eine Eule dann auch noch aufs Wort hören, ist man überzeugt, es mit Zauberei zu tun zu haben. Doch in einem Zauberwald wie dem von Brocéliande in der Bretagne ist eben alles möglich.
Anne Freudiger, die »Raubvogelflüsterin«, ist weder eine Erscheinung noch eine Erfindung. Die 46-jährige Falknerin bildet die Tiere aus, und nutzt sie, um anderen Menschen die Augen für die Natur und ihre Geschöpfe zu öffnen. Auf Wanderungen, die jedermann bei ihr buchen kann, erzählt sie von den Schönheiten der Region, versucht, ihre Gäste für den Naturschutz zu sensibilisieren. Einige der gelehrigen Tiere, die sie immer begleiten, lassen sich auch gern mal auf der Lehne eines Rollstuhls als Sozius nieder.
Ein Wald voller Legenden
Die einzige selbstständige Falknerin Frankreichs lebt seit zehn Jahren im Wald von Brocèliande. Der mystische Wald voller Legenden, in dem Geister und Unholde, edle Ritter und Feen ihr Zuhause haben sollen, beflügelte schon seit jeher die Fantasie der Menschen und zieht sie an wie ein Magnet. Insbesondere die Sage um König Artus. Einst soll Joseph von Arimathia einen Blutstropfen Christis aus Palästina in enem Kelch in die Bretagne gebracht haben. Doch Joseph und der Kelch verschwanden spurlos in Brocéliande. Im 6. Jahrhundert, so die Sage, machten sich Artus und 40 Gefolgsleute auf die Suche nach diesem Heiligen Gral. Regelmäßig trafen sie sich an einem runden Tische zur gemeinsamen Tafelrunde, denn keiner sollte im Rang höher als die anderen stehen. In zahllosen Abenteuern der »Ritter der Tafelrunde« im Wald von Brocéliande retten sie Jungfrauen, erschlagen ehrlose Ritter und Feuer speiende Drachen. Der Wunder wirkende Gral, der Glück, ewige Jugend, Sättigung aller Hungrigen und Heilung von allen Krankheiten verspricht, soll sogar einmal aus dem Nichts aufgetaucht sein und die versammelten Ritter gespeist haben, seitdem aber suchen die Menschen ihn vergebens.
Auf Gral-Suche begeben sich gewissermaßen auch jene, die von dem neuen Wanderangebot »Chlorophyll und Schmetterlinge« Gebrauch machen. Dahinter verbergen sich Touren durch die schönsten Gebiete der Bretagne, so auch im Wald von Brocéliande. Zum Paket gehören eine Unterkunft in preiswerten Familienhotels oder Gästehäusern, die Gastgeber bieten nicht nur ein üppiges Frühstück und Wanderkarten, sondern sind auch Kenner der Region und begleiten die Gäste mitunter auf ihren Touren.
Goldener Baum und Feen
Wer sich für eine Wanderung durch den Zauberwald entscheidet, begibt sich auf eine wunderbare Zeit- und Legendenreise. Brocéliande, der früher fast die ganze innere Bretagne bedeckte, ist heute mit etwa 7000 Hektar zwar noch der größte Wald der Bretagne, wurde aber bis zum 19. Jahrhundert systematisch gerodet und verfeuert. Erst seit rund 100 Jahren wird wieder aufgeforstet, allerdings mit schnell wachsenden Kiefern, die ursprünglich nicht in dem Wald vorkamen. Im September 1990 äscherte - wahrscheinlich durch Brandstiftung - ein Großfeuer rund zehn Prozent des Waldes ein. Das berühmte »Tal ohne Wiederkehr«, Heimat der Fee Morgane, gab es nicht mehr. Fünfzehn Jahre später wurde vermeldet, dass die Wiederaufforstung mit amerikanischen Eichen gelungen sei und diese prächtig gedeihen. Zur Erinnerung und Mahnung an den verheerenden Brand hat der französische Künstler Francois Davin den Goldenen Baum erschaffen, eine mit 90 Gramm Gold bedeckte Kastanie, die von fünf verkohlten Bäumen umringt ist.
Das Denkmal steht am so genannten Feenspiegel, dem Teich, der als Eingang ins »Tal ohne Wiederkehr« gilt. Auf dieses soll die Fee Morgane einen Zauberspruch gelegt haben, nachdem sie erfuhr, dass der von ihr geliebte Ritter ihr untreu war. Seitdem verwandelte sie alle untreuen Männer, die das Tal betraten, in Steine, nur wirklich Liebende konnten unbehelligt passieren. Erst der »reine« Ritter Lancelot konnte den Zauber des Tals brechen, und Morgane musste ihre Gefangenen freilassen.
Noch heute verzaubern uralte moosbewachsene Bäume, enge Schluchten und geheimnisvolle Gebilde die Menschen im Wald von Brocéliande. Und ständig »stolpert« man über Hinterlassenschaften von König Artus oder dem legendären Zauberer Merlin, der hier sein Unwesen trieb.
Wer sich für die Sagenwelt besonders interessiert, der sollte auf keinen Fall an der Kirche Tréhorenteuc am Waldrand vorbeigehen. Hier ließ ab 1945 der Ortspfarrer und Artus-Liebhaber Abbé Gillard durch zwei deutsche Kriegsgefangene, den Maler Karl Rezabeck und den Tischler Peter Wisdorf, die Artus-Sage künstlerisch umsetzen. Bereits 1943 wurden die Fenster rechts und links vom Altar angefertigt, die von der Erscheinung des Grals an der Tafelrunde und vom letzten Abendmahl erzählen.
Jährlich besuchen rund 70 000 Gäste die Kirche, jeder Dritte kommt aus Deutschland.
Französisches Fremdenverkehrsamt Maison de la France, Postfach 199128, 60001 Frankfurt/Main, Tel.: (09001) 57 00 25, Fax: (09001) 59 90 61, E-Mail: info.de@franceguide.com, www.franceguide.com und www.urlaub-bretagne.com
Falknerin Anne Freudiger, Tel.: (0033) 682 22 15 47), E-Mail: dana.cie@tiscali.fr
Empfehlenswerte Literatur: Bretagne, Michael Müller Verlag Erlangen, 22,90 Euro; Bretagne, DuMont Reiseverlag Köln, 12 Euro; Bretagne, Reise Kow-How Verlag Bielefeld, 19,90 Euro
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