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Die neue Reisefreiheit

Dass Bundespräsident Gauck nicht zu Olympia nach Sotschi fährt, ist dem Schwulen- und Lesbenverband zu wenig

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundespräsident Joachim Gauck will zwar nichts von einem Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi wissen. Seine Weigerung, Olympia zu besuchen, rief trotzdem viel Lob und Kritik hervor.

Was ist es denn nun? Boykott, Signal, persönliche Entscheidung oder doch nur Reisefaulheit? Bundespräsident Joachim Gauck wird schon gewusst haben, was er mit seiner Ankündigung auslösen würde, die Olympischen Winterspiele von Sotschi im kommenden Februar nicht besuchen zu wollen. Und vor allem damit, diese mit keiner Silbe zu begründen. Nun dürfen alle anderen sagen, was Gauck damit hätte sagen sollen. Dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) geht Gaucks Absage jedenfalls nicht weit genug.

»Es ist gut, dass die Menschenrechte in Russland, speziell die der Lesben, Schwulen und Transgender sowie die Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung thematisiert werden, und Herr Gauck hat hier sicher eine neue Runde eingeleitet«, sagte LSVD-Sprecherin Renate Rampf gegenüber »nd«. »Allerdings ist seine Haltung doch sehr interpretationswürdig und nicht konkret genug. Das ist keine ausreichende Stellungnahme.«

Im Gegensatz zu manch anderem rät Rampf keinem Politiker, die Spiele zu boykottieren. »Ich kann mir schon vorstellen, dass sich Herr Gauck in Russland unwohl gefühlt hätte, aber damit hat er auch eine Möglichkeit aus der Hand gegeben. Ein Bundespräsident mit der Regenbogenflagge in Sotschi bringt uns mehr als ein Bundespräsident, der zu Hause bleibt. Wir brauchen Politiker, die in Russland klar Stellung beziehen für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen«, forderte Renate Rampf. Sie schlägt vor, vor Ort Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu besuchen und ihre Solidarität auszudrücken: »Hochrangige Politiker können Dinge tun, die Aktivisten nicht machen dürfen. Sie haben so einen hohen Einfluss, dass sie sicher nicht gleich verhaftet werden.«

Weitere Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus. Während die Menschenrechtsorganisation »Human Rights Watch« Gauck für ein »besonders starkes Zeichen« lobte, forderte Imke Dierßen von der deutschen Sektion Amnesty Internationals: »Wir erwarten, dass er noch mehr tut. Mit einer alleinigen Äußerung ist es nicht getan.«

Bundeskanzlerin Merkel wollte lieber gar nichts sagen und schickte ihren Regierungssprecher Steffen Seibert vor: »Die Entscheidung des Bundespräsidenten ist zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu kommentieren.« So sei dies zwischen Verfassungsorganen üblich, meinte Seibert. Ob Merkel oder ein anderer Minister ihrer noch nicht existenten neuen Regierung nun nach Sotschi reisen wird, wollte er auch nicht sagen.

Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, nahm der Bundeskanzlerin die Entscheidung gerne ab: »Die deutsche Politik sollte die Olympischen Winterspiele in Sotschi boykottieren«, sagte er im Deutschlandradio. Schließlich nannte sogar der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, die Entscheidung Gaucks eine »wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen«. Die Winterspiele in Sotschi seien als Zarenfestspiele geplant, doch diese Rechnung gehe nun nicht mehr auf, so Löning weiter.

So lange Gauck, dessen Vater Anfang der 50er Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert war, aber nicht sagt, dass er die Spiele wirklich boykottiere, tut er dies faktisch auch nicht. Jedenfalls aus Sicht Putins, der nun noch weniger Angst davor haben muss, dass sein deutsches Pendant ihn in seinem eigenen Land bloßstellen könnte. Ohnehin hat sich Putin bislang als Meister darin bewiesen, derlei Kritik an sich abperlen zu lassen.

Die Schwulen- und Lesbenszene Russlands kann mit Gaucks begründungslosem Olympiaverzicht jedenfalls nicht viel anfangen. »Viel Wert hat dieser Schritt für uns nicht, wenn es nicht mal eine Andeutung gibt, dass er als Protest gegen die Unterdrückung unserer Rechte gemeint ist«, sagte Aktivistin Polina gegenüber »nd«. Ihren Nachnamen will die Sprecherin der NGO »Coming Out« aus Angst vor Repressalien nicht in der Zeitung lesen.

Generell begrüße sie zwar keinen Olympiaboykott, doch hochrangige Politiker dürften ruhig unter Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen in Russland nur ihre Staatssekretäre schicken. »Und wenn sie doch kommen, sollen Sportler, Politiker, Sponsoren und Zuschauer Sotschi als Plattform für Meinungsäußerungen nutzen«, sagte Polina. »Eigene Demonstrationen sind uns nicht erlaubt. Sotschi wird eine geschlossene Stadt sein.« Daher sind in der Zeit zwischen beiden Events die »Open Games« in Moskau geplant. »Das soll unsere Plattform sein für einen diskriminierungsfreien Sport und, um für unsere Rechte einzutreten.«

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