20 000 hängen rum

Die Bedingungen für Jugendliche auf Lehrstellensuche haben sich laut DGB-Ausbildungsreport kaum verbessert

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch dieses Jahr sind wieder Zehntausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz geblieben. Und denen, die einen haben, geht es nicht unbedingt gut damit.

Sie wollen, aber sie können nicht: Auch dieses Jahr sind 20 000 Jugendliche in Berlin und Brandenburg entweder ganz ohne Tätigkeit oder stecken in einer berufsvorbereitenden Maßnahme. In seinem aktuellen Ausbildungsreport warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB): Während von Arbeitgeberseite immer häufiger der Fachkräftemangel beschworen wird, wollen gleichzeitig immer weniger Betriebe selbst ausbilden.

Gleich 3000 junge Berufseinsteiger in Berlin sind laut Statistik »ohne Verbleib«, also überhaupt nicht versorgt, genauso viele wie in Brandenburg. Je 7000 kamen 2013 nur in vorbereitenden Programmen unter. Der Report lässt an dem Sinn dieser Maßnahmen zweifeln: Nur die Hälfte der Teilnehmer hält sie für »hilfreich« und »sehr hilfreich«. »Wir hören immer wieder: Das war ein verpufftes Jahr und hat mir nichts gebracht«, berichtet Christin Richter, Bezirksjugendsekretärin des DGB Berlin-Brandenburg. Der Dachverband fordert deshalb, die Programme pädagogisch zu überarbeiten - und zu verkürzen.

Auch für die, die eine Lehrstelle gefunden haben, verbessern sich die Bedingungen nur »im Schneckentempo«. Für jeden Fünften ist die Lehre ohnehin nicht sein Wunschberuf, noch einmal 40 Prozent hatten gleich von Beginn an mehrere Branchen im Auge. Insgesamt bewerten heute fast 80 Prozent der Jugendlichen die fachliche Qualität ihrer Ausbildung mit »gut« oder »sehr gut« - der einzige Wert, der sich in den letzten Jahren konstant verbessert hat. Immer noch hat dagegen ein Viertel aller Lehrlinge keinen Ausbildungsplan in seinem Betrieb.

Für fast ein Drittel gehört es zum Arbeitsalltag, Privatbriefe vom Chef zur Post zu tragen oder dessen Auto zu waschen - obwohl ausbildungsferne Tätigkeiten in der Lehre nicht erlaubt sind. Ein Viertel muss regelmäßig Überstunden leisten, immerhin drei Prozent weniger als im Vorjahr. Aber noch zu viel: »Die Extrastunden werden oft nicht abgegolten«, sagt Christin Richter. Problematisch auch: Manche Ausbilder lassen ihre Lehrlinge unrechtmäßig die Stunden nacharbeiten, die sie an der Berufsschule verbringen. Eine junge Frau kam so auf 200 zusätzliche Arbeitsstunden im Jahr, erzählt die DGB-Sekretärin.

Und das, obwohl das Einkommen für Azubis bereits auf niedrigem Level stagniert: 2013 lag das Durchschnittsgehalt im ersten Lehrjahr mit 546 Euro im Monat sogar noch zwei Euro unter dem vom Vorjahr. 40 Prozent der Lehrlinge erhalten unter 500 Euro monatlich. »Netto haben die meisten um die 300 Euro in der Tasche«, erklärt Richter. Viele arbeiten deshalb zusätzlich abends in Minijobs oder bedienen am Wochenende in Bars und an Tankstellen.

Dass so viele Jugendliche trotz Fachkräftemangel nicht unterkommen, liegt laut DGB auch an den Arbeitgebern selbst. »Viele meinen, sie bekommen gleich fertige Azubis vor die Tür gefahren«, sagt die DGB-Vorsitzende in Berlin-Brandenburg, Doro Zinke. Zeit und Geld - beides muss ein Ausbilder aufbringen, vor beidem schreckten Betriebe zurück. Nachwuchs brauchen sie irgendwann trotzdem. Ein Dilemma: »Das wird auf die Unternehmen furchtbar zurückschlagen«, ist die DGB-Chefin sicher. Vor allem Frauen in Männerberufen hätten oft schlechte Karten: »Da heißt es, wir können uns die zusätzliche Toi-lette oder Sozialraum nicht leisten.«

Viele Bewerber berichteten auch, in Bewerbungsverfahren werde zu stark auf die Schulnoten und Abschlüsse geschaut. »Wir haben in Berlin immer noch die Vorstellung, dass ein Bäckerlehrling Abitur haben muss.« Die Ausbildungsbetriebe seien bisher verwöhnt gewesen - heute entschieden sich junge Menschen mit Hochschulreife aber viel häufiger für eine akademische Laufbahn.

»Oft spielen Arbeitgeber die Karte der Ausbildungsunreife aus«, berichtet Zinke weiter. Die Jugendlichen seien demnach zu unmotiviert, zu schlecht ausgebildet, brächten nur mangelndes Grundwissen mit. Eine »blöde Ausrede«, die nicht mit der Erfahrung des DGB übereinstimmt: »Ich kann nicht begreifen, wie viele pfiffige junge Leute abgewiesen werden.« Oft erzählten Jugendliche davon, wie schlecht sie schon bei der Bewerbung behandelt würden. Gleichzeitig werde von Azubis immer mehr abverlangt: »Nach drei, vier Monaten wollen die Betriebe schon volle Fachkräfte in ihnen haben.« Dabei vergäßen sie, was die Lehrjahre auch sind: Nämlich »eine Zeit der persönlichen und fachlichen Bildung«, in der auch Fehler erlaubt sind.

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