Ein überfälliger Schritt

Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz (SPD) weckt hohe Erwartungen

  • Lesedauer: 3 Min.
In Deutschland leben fünf Millionen Muslime. Da sollte es eigentlich keine Sensation sein, dass eine Politikerin mit Migrationshintergrund Staatsministerin wird.

Aydan Özoguz ist die erste türkischstämmige Frau, die als Staatsministerin in Deutschland vereidigt wurde. »Sie beweist, dass es möglich ist, als Kind einer Einwandererfamilie in der Gesellschaft aufzusteigen«, schreibt das Nachrichtenmagazin »Focus« – und möchte damit offenbar einer Nation Entlastung verschaffen, die wegen ihrer rigiden Flüchtlingspolitik in der Kritik steht.

Mit ihrer Herkunft sei die Sozialdemokratin als »Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration« – so die offizielle Bezeichnung – prädestiniert, schreibt der »Focus«. Das erst 2005 geschaffene Amt gewinne dadurch an Glaubwürdigkeit.
Worüber in London oder Paris kaum ein Wort verloren werden würde, versetzt die etablierten Medien in der Bundeshauptstadt in helle Aufregung. Scheinbar ist man erst jetzt zu der Erkenntnis gelangt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Anders ist das Aufhebens darüber, dass »die Türkin« am Kabinettstisch Platz genommen hat, nicht zu verstehen.


Als »Quotentürkin« stehe sie aber nicht zur Verfügung, betonte Özoguz immer wieder. Ausgenommen »wenn es hilft, die Diskussion zu versachlichen«, räumte sie in einem Interview ein. Aber die 46-Jährige aus dem gutbürgerlichen Norden der Hansestadt kann auch austeilen: »Innenminister Friedrich hat die Islamkonferenz in seiner Amtszeit ad absurdum geführt«, kritisierte Özoguz 2011, damals noch in ihrer Funktion als SPD-Vizechefin, die Bundesregierung. Zwischenzeitlich rief die »Hamburger Deern«, wie sie sich auch nennt, sogar zum Boykott der umstrittenen Einrichtung auf, weil dort eine »einseitige Verknüpfung des Islam mit Gewaltprävention und Sicherheitsfragen« vorgenommen werde.

Und Özoguz bemängelte ebenso den vom sogenannten Krieg gegen den Terror ausgehenden Sicherheitswahn, mit dem sich die schwarz-gelbe Regierung »zum Gefallen der CSU-Stammtische profilieren« wollte, wie die unverbindliche Migrationspolitik von Integrationsministerin Maria Böhmer (CDU). Zudem warf sie ihrer Vorgängerin mangelnde Courage vor: »Es muss mehr ums Thema gehen und nicht so sehr darum, Rückhalt in der eigenen Partei zu suchen.«

Der Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen in Hamburg könnte sogar den Haussegen in Özoguz Familien in Unordnung bringen. Ihr Ehemann, Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD), wird wegen seines rücksichtslosen Vorgehens gegen die Flüchtlinge derzeit als heißester Aspirant auf den Titel »Abschiebeminister 2014« gehandelt. Zumindest Özoguz eigener Lebenslauf lässt darauf hoffen: Die 1989 eingebürgerte Tochter türkischer Kaufleute koordinierte nach ihrem Anglistik-Studium 15 Jahre lang Integrationsprojekte für die Körber-Stiftung. 2001 war sie als Parteilose in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt worden. 2004 holte sie Olaf Scholz in die SPD. Damals wurde der Senat von der fremdenfeindlichen Hetze des Vizebürgermeisters Ronald Schill geprägt. Dagegen anzugehen war eine lehrreiche Feuerprobe, aber auch eine »bedrückende Zeit«, erinnert sich Özoguz. Ständig habe sie rassistische Briefe erhalten. »Man bekam das Gefühl, jetzt wird das salonfähig.« Fast ein Fünftel der Hamburger hatte Schill gewählt.

Aber Özoguz ließ sich nicht aus dem Rathaus mobben: Von 2004 bis 2008 arbeitete sie im Integrationsbeirat der Stadt. 2009 folgte der Einzug in den Bundestag, wo sie sich als Integrationsbeauftragte der SPD-Fraktion für ihr neues Amt qualifizierte. Ein Ministerposten für eine Muslimin sei »längst überfällig« gewesen, sagte der Vorsitzende des Rates der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg, Mustafa Yoldas, gegenüber »nd«. »Das ist keine Sensation, sondern Normalität.« In Deutschland lebten fünf Millionen Muslime. Entsprechend hoch sind die Erwartungen: Die Neue soll auch heiße Eisen anpacken. Özoguz möge die Intensivüberwachung von friedlichen islamischen Organisationen durch den Verfassungsschutz hinterfragen, fordert Yoldas und verspricht: »Wir werden sie nach Kräften unterstützen und auch kritisieren, falls sie sich von der Macht korrumpieren lassen sollte.«

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