Schwarz-Grün in Hessen besiegelt

Bürgerininitiativen halten Aussagen im Koalitionsvertrag zum Rhein-Main-Flughafen für miserabel

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Die CDU hat einstimmig, die Grünen haben mit einer Zweidrittelmehrheit dem Koalitionsvertrag in Frankfurt am Main zugestimmt. Mitte Januar nimmt die neue Regierung die Arbeit auf.

Die Hessen-CDU ist sich selbst treu geblieben und hat im Rahmen eines kleinen Parteitags in Rosbach den Koalitionsvertrag ohne Umschweife einstimmig abgesegnet. Eine Landesmitgliederversammlung der Grünen dagegen nahm erst nach längerer kontroverser Debatte in der Bankenmetropole Frankfurt mit knapp 75 Prozent der abgegebenen Stimmen das gut 100 Seiten lange Papier an.

Aufgrund des unerwartet starken Andrangs von über 1000 stimmberechtigten Parteimitgliedern begann die Versammlung eine Stunde verspätet. Zuvor hatten vor dem Gebäude mehr als 300 Fluglärmbetroffene aus der Region lautstark für ein achtstündiges Nachtflugverbot und die Stilllegung der neuen Nordwest-Landebahn sowie gegen einen weiteren Ausbau des Rhein-Main-Flughafens demonstriert. »Ich seh schwarz für Grün«, hatte eine Demonstrantin auf ein Pappschild gemalt.

Zum Auftakt der Mitgliederversammlung verlas Initiativensprecher Dietrich Elsner ein Grußwort der Ausbaugegner, in dem er die im Koalitionsvertrag getroffenen Aussagen zum Flughafen als »miserabel« bezeichnete, weil sich nun ein weiterer Ausbau abzeichne und die nächtliche Lärmbelastung nur unwesentlich zurückgehen werde.

Doch mit den Einwänden der Fluglärm-Initiativen wollte sich die Regie auf dem Weg in die Landesregierung nicht allzu lange aufhalten. Schon zu Beginn der allgemeinen Aussprache zeichnete sich eine klare Mehrheit für Schwarz-Grün ab, als mehrere Mitglieder mit ihrem Antrag scheiterten, die endgültige Abstimmung über den erst drei Tage zuvor veröffentlichten Koalitionsvertrag auf Ende Januar zu verschieben. »Wir möchten nicht nur abnicken« und »Der künstlich erzeugte Zeitdruck ist nicht nachvollziehbar«, hieß es in der Begründung. »Da lacht sich doch die Republik kaputt«, warnte hingegen der Bundestagsabgeordnete Tom Königs vor einem Aufschub und hatte die Mehrheit hinter sich.

Weil Rot-Grün in Hessen wieder keine eigene Mehrheit errungen habe, gebe es jetzt keine Alternative zu dem »Zweckbündnis auf Zeit« mit der CDU, betonte der hessische Grünen-Spitzenmann Tarek Al-Wazir einleitend. In Vertragspassagen zu Energie, Landwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Naturschutz habe man dem künftigen Partner CDU bisher nicht für möglich gehaltene Aussagen abgerungen. »Hessen wird sehr viel grüner werden«, prophezeite Al-Wazir.

In der Aussprache gaben die Koalitionsbefürworter, darunter viele Mandatsträger in Kommunen und im Land, den Ton an. Dabei wies das immer wieder anklingende überschwängliche Eigenlob Parallelen mit jüngsten SPD-internen Debatten über eine vermeintliche »sozialdemokratische Handschrift« im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union im Bund auf. Das schwarz-grüne Bündnis werde »Geschichte schreiben« und eine »neue Messlatte für die Bundespolitik« bilden, meinten Vertreter des in Hessen tonangebenden Realo-Flügels. »Viele grüne Aussagen im Vertrag wären mit der SPD nicht möglich gewesen«, meinte ein Redner.

Zustimmung zum Vertrag und der als »Sachzwang« für massive Kürzungen dienenden »Schuldenbremse« signalisierte auch Lisa Süß von der Grünen Jugend. »Der Kaiser ist nackt«, meinte hingegen Carol-Sue Rombach aus dem Kreis Offenbach in einem Seitenhieb auf viele vage Aussagen im Papier. Wenigen Rednern aus Anrainergemeinden blieb es vorbehalten, die Bedenken der Fluglärm-Bürgerinitiativen zu vertreten. Als Minister werde Al-Wazir Einfluss auf die Personalpolitik des teilprivatisierten Flughafenbetreibers Fraport nehmen, so die Hoffnung der Koalitionsbefürworter. Auch der beschlossene Stellenabbau in der Landesverwaltung und andere Sparmaßnahmen von Schwarz-Grün blieben in der Debatte weitgehend ausgeblendet. Dass Hessen weiterhin als einziges Land nicht dem Arbeitgeberverband »Tarifgemeinschaft der Länder« (TdL) angehört und die 2004 eingeleitete Tarifflucht fortsetzt, kam nur in einem Redebeitrag vor. »Alle, die heute nicht gekommen sind, haben wir schon verloren«, so die Frankfurterin Sara Nanni. Sie warnte vor einer »Zerreißprobe« für die Partei und rief zum innerparteilichen Widerstand und Protest auf.

Die Versammlung nominierte Al-Wazir für das Amt des Wirtschafts- und Verkehrsministers und die Bundestagsabgeordnete Priska Hinz als künftige Umweltministerin. Neue Landesvorsitzende wurden die Darmstädterin Daniela Wagner und der Landtagsabgeordneten Kai Klose. Sie treten die Nachfolge der Landtagsabgeordneten Kordula Schulz- Asche und Tarek Al-Wazir an, die nicht mehr kandidierten. Die neue Regierung soll Mitte Januar ihre Arbeit aufnehmen.

Die Grünen-Versammlung habe »für die eigene Konturlosigkeit gestimmt«, kritisierte der SPD-Landtagsabgerodnete Günter Rudolph das »Ja« des einstigen Wunschpartners zum schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Als »Unsinn« und Ablenkung von der eigenen Schwäche bezeichnete die hessische Linksfraktion die Aussage Al-Wazirs vor der Landesmitgliederversammlung, wonach LINKEN-Fraktionschefin Janine Wissler mit der Forderung nach »Politikwechsel« durch das Land reise, während Parteichef Ulrich Wilken in den Sondierungen immer nur »Njet« gesagt habe. Die LINKE stehe für einen Politikwechsel bereit, sei aber für Stellenstreichungen und Kürzungen bei Bildung und Soziales nicht zu haben, unterstrich Co-Fraktionschef Willi van Ooyen. »Leider haben sich CDU und Grüne genau darauf verständigt.«

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