Wenn aus deutschen Feilen Sushimesser werden

Im bayerischen Städtchen Dorfen schmiedet Noriaki Narushima edle japanische Klingen - ein Vor-Ort-Besuch

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor fast 30 Jahren kam Noriaki Narushima aus Japan nach Deutschland - wegen Petra, seiner heutigen Frau. Heute betreibt er in Bayern eine wohl einzigartige Messerschmiede.

Die Stadt Dorfen liegt im schönen Isen-Tal zwischen München und Erding und hat gut 14 000 Einwohner. Bei der Kommunalwahl von 2008 erreichte die CSU rund 25 Prozent der Stimmen oder sechs Sitze im Stadtrat, es gibt die Metzgerei Stirner und den Friseur Haberland, Otto II. der Erlauchte hat der Stadt im 13. Jahrhundert das Marktrecht verliehen und 1910 wurden die Wirtschaften der zwei Brauereien in Brand gesteckt, weil sie den Bierpreis erhöht hatten. Nichts ist also ungewöhnlich am oberbayerischen Dorfen - und doch: Wer hätte gedacht, dass hier in einem ehemaligen Kuhstall eine Esse steht und dort der japanische Flugzeugbauer Noriaki Narushima seine ganz speziellen Messer schmiedet.

Schwerter zu Pflugscharen, hieß ein Slogan der Friedensbewegung in der DDR, hier in Dorfen aber macht Narushima Feilen zu Messerklingen. Feilen? »Das ist sehr harter Stahl«, erläutert der Japaner. Also genau das richtige für japanische Messer, die vom Material her härter sind als etwa in Deutschland hergestellte Klingen. Der hohe Härtegrad hat aber auch Nachteile: Das Material ist spröder und kann bei falscher Behandlung brechen. Und man benötigt spezielle Schleifsteine, um die Klingen zu schärfen.

Noriaki Narushima gießt, stählt und hämmert mit roter Latzhose und Holzschuhen in dem früheren Kuhstall. »Semmelknödel geht«, sagt der 58-Jährige, »Kartoffelknödel eher nicht.« Wir sprechen zunächst über das Essen in Bayern - und was japanische Gaumen dazu sagen. Kartoffelknödel jedenfalls sind ihm zu weich, zu glitschig. Narushima kocht oft selbst japanisch, mit Zutaten aus dem eigenen Gemüsegarten, dort hat der Messerschmied zum Beispiel japanische Gurken angebaut und Sojabohnen. »Sehr, sehr schwierig«, sagt Narushima, »die werden gerne von Rehen gefressen.« Aus den Sojabohnen macht er eine eigene Sojasoße - die gibt es dann zu japanischen Nudeln oder einem japanischen Schnitzel. Wie sieht das aus? »Auch nicht anders als das bayerische«, schmunzelt der Japaner.

Zeit, um sich an das bayerische Essen und die hiesigen Sitten zu gewöhnen, hatte Narushima jedenfalls schon. Vor fast 30 Jahren ist er von Japan nach Deutschland gekommen, wegen Petra, seiner heutigen Frau. Die hat er über gemeinsame Bekannte kennen gelernt. Seitdem lebt er auf dem ehemaligen Bauernhof, Kuhstall und Garage hat er zu einer Messerschmiede umgebaut. - Geboren wurde Narushima 1954 in Tokyo, in der Millionenmetropole ist er auch aufgewachsen. 1973 begann er ein technisches Studium an der Universität und arbeitete nach seinem Abschluss als Maschinenbauer. Damals begann einer seiner Freunde, eigene Taschenmesser herzustellen und ab Anfang der 1980er Jahre machte Narushima die Schmiedekunst schrittweise zu eigen.

Wir stehen in dem ehemaligen Kuhstall, der jetzt vollgestellt ist mit Maschinen und Geräten: Zum Bohren, Schleifen, Drehen, Schweißen, Polieren und Schärfen. An einer Werkbank steht zwischen allerlei Werkzeugen und Material ein Mikroskop. Narushima benutzt es, um die Struktur und Qualität der Stähle zu untersuchen. Momentan liegt eine Probe unter dem Mikroskop, auf der feine kleine weiße Punkte in der 400-fachen Vergrößerung zu sehen sind. »Beim Schmieden«, erklärt er, »müssen sich diese Punkte zu einer netzartigen Struktur verbinden, dann ist es gut.« Bilden sie aber plattenähnliche Gebilde, dann bricht der Stahl. Es ist schon ein interessantes Handwerk, das Schmieden. Die Messer entstehen, indem um einen harten Kern herum weicheres Material in mehreren Schichten gelegt wird. Durch den Schliff wird dann die »Maserung« sichtbar. Die Laminierung erhöht die Bruchsicherheit der Klinge.

»Küchenmesser« heißt in der japanischen Sprache »Hocho« - und einige davon hat der bayerische Japaner gerade in der Fertigung: Sushimesser für ein Münchner Restaurant. Naru-shima arbeitet in der Regel nach Bestellung und fertig höchstens 40 Messer im Jahr. Das Sushimesser hat eine Klinge von 30 Zentimeter und kostet rund 1200 Euro. Gefragt sind die japanischen Messer wegen ihrer großen Schärfe. Der Chromanteil ist in japanischen Stählen aber sehr gering. Das heißt, die Klingen rosten. »Macht nix«, sagt Narushima lächelnd, »man muss die Klinge halt trocken halten und nach Gebrauch abwischen.«

Doch der Schmied von Dorfen stellt sich nicht nur an die glühende Esse, sondern ist auch vielfältig unterwegs. Er dolmetscht für japanische Geschäftsdelegationen und spielt auch schon mal den Fremdenführer. Und geht selbstverständlich auch zum Stammtisch. Zum Deutsch-Japanischen Stammtisch in München, der sich jeden letzten Freitag im Monat trifft. Der Stammtisch ist offen für jeden, ab 20 Uhr gibt es Diskussionen zu bestimmten Themen oder Vorträge. Was auch immer: Dort kann Narushima jedenfalls auch mal wieder in seiner Muttersprache plaudern.

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