Neun Jahre ohne Aufklärung

Dessau erinnert an den Feuertod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle

  • Hendrik Lasch, Dessau
  • Lesedauer: 3 Min.
In Dessau ist an den Tod des Flüchtlings Oury Jalloh erinnert worden, der am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle verbrannte. Nazis versuchten erstmals, eine Mahnwache zu stören.

Der Trupp kam aus einer Nebenstraße und näherte sich zielstrebig der Polizeiwache in der Dessauer Wolfgangstraße: Nazis aus Dessau und dem Burgenland haben am Dienstag versucht, die Mahnwache zu stören, mit der jeweils am 7. Januar an den vor neun Jahren in einer Zelle in dem Dienstgebäude verbrannten Flüchtling Oury Jalloh erinnert wird. Auf Weisung der Polizei zogen sie sich zurück - nur um später einen erneuten Annäherungsversuch zu unternehmen. Es sei der erste Zwischenfall dieser Art gewesen, sagte später Razak Minhel, der Leiter des Multikulturellen Zentrums, das die Mahnwache mitorganisiert.

Anliegen des stillen Gedenkens sei, dass »die Erinnerung wach gehalten wird«, sagte Minhel - und zwar daran, dass der damals 21-jährige Jalloh, ein Flüchtling aus Sierra Leone, am Mittag des 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle verbrannte. Er war festgesetzt und an Händen und Füßen auf eine Matratze gefesselt worden, nachdem er am Morgen in angetrunkenem Zustand Frauen behelligt haben soll. Welche Umstände zum Feuer führten, ist bis heute nicht restlos geklärt. Minhel sagte, dass »wir als Migranten und die Stadt bis heute darunter leiden«.

Aufklärung über den Feuertod wurde nachdrücklich auch bei einer Demonstration mit rund 400 Teilnehmern am Nachmittag verlangt. Aufgerufen hatte die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«. Sie tritt seit Jahren vehement der These entgegen, Jalloh habe die Matratze selbst angezündet. Im November hatte sie dazu ein unabhängiges Brandgutachten vorgestellt, dem zufolge der Verlauf des Feuers nur zu erklären ist, wenn der Einsatz von Brandbeschleuniger angenommen wird. Die Initiative hat deshalb beim Generalbundesanwalt Anzeige gegen einen unbekannten Polizeibeamten wegen Mord oder Totschlag erstattet. Die Behörde hat sich dazu noch nicht geäußert.

Derweil geht die Initiative davon aus, dass der Prozess gegen einen Dienstgruppenleiter, der bereits in zwei langen Verfahren vor Gericht stand, in eine dritte Runde geht. Der Beamte war zuletzt im Dezember 2012 vom Landgericht Magdeburg der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ihm war zur Last gelegt worden, Jalloh ohne Einwilligung eines Richters in der Zelle festgesetzt zu haben. Anders als das Gericht, sahen Nebenklage und Staatsanwaltschaft das Handeln aber nicht als fahrlässig an und gingen beim Bundesgerichtshof (BGH) in Revision. Er hatte schon ein erstes Urteil des Landgerichts Dessau gekippt.

Die Initiative erklärt nun, der Generalbundesanwalt habe im Dezember eine mündliche Verhandlung beim BGH beantragt. Es sei daher »zu erwarten«, dass auch das Urteil aus Magdeburg aufgehoben wird. Diese Einschätzung halten Beobachter aber für verfrüht. Die Bundesanwaltschaft ließ eine Anfrage von »nd« am Dienstag zunächst unbeantwortet.

Bestärkt durch die jüngsten Entwicklungen, bekräftigten Demoteilnehmer aber auch ihre Überzeugung: »Oury Jalloh - das war Mord«. Die Polizei griff gegen den Slogan nicht ein - anders als im Januar 2012. Damals waren Transparente beschlagnahmt und Teilnehmer der Demo hart angegangen worden. Anmelder Mouctar Bah musste eine Nacht im Krankenhaus verbringen. Die Staatsanwaltschaft eröffnete später ein Verfahren gegen ihn; sie wirft ihm Widerstand gegen Polizeibeamte und Körperverletzung vor. Am ersten Verhandlungstag im Dezember wurde der Prozess zunächst ausgesetzt; der Richter am Amtsgericht verwies auf unvollständige Unterlagen. Bah sagte am Dienstag, sämtliche entlastenden Materialien seien dem Gericht vorenthalten worden. Ob und wann der Prozess weitergeht, ist offen.

Für die Demo, die bei Redaktionsschluss andauerte, rechnete Bah nicht mit Zwist mit der Polizei. Und auch von den Nazis war nachmittags nichts mehr zu sehen.

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