Facebook und Falschmeldungen

Hamburgs nun eingeschränktes »Gefahrengebiet« und die Politik gefühlter Wahrheiten

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
In Hamburg hat die Polizei das »Gefahrengebiet« räumlich und zeitlich eingeschränkt - angeblich wegen seines schnellen Erfolges.

Wie würde ein ermittelnder Polizist auf einen Zeugen reagieren, der ihm innerhalb weniger Tage vom selben Sachverhalt verschiedenste Versionen vorsetzte? Er würde diesem nicht glauben, und das mit gutem Grund. Nur in Hamburg gilt das nicht.

Dort hatte die Polizei eine Zone eingeschränkter Grundrechte ausgerufen. Und obwohl dieses zunächst flächendeckende »Gefahrengebiet« nun auf drei noch immer erhebliche »Gefahreninseln« rund um Polizeiwachen reduziert worden ist, lohnt ein Rückblick auf seine Genese.

Ursprünglich hatte die Polizei einen brutalen, gezielten Angriff angeblich vermummter Linksextremisten auf die Davidwache an der Reeperbahn als Anlass für die Sonderrechtszone angegeben. Am 28. Dezember um 23.03 Uhr hätten »30 bis 40 dunkel gekleidete« und »zum Teil vermummte« Personen vor der Wache »St. Pauli - Scheißbullen - Habt ihr noch immer nicht genug« gerufen. »Daraufhin«, hieß es am 29. Dezember, seien Beamte vor der Wache »gezielt und unvermittelt mit Steinwürfen angegriffen« worden, wodurch ein 45-jähriger Beamte einen Kiefer- sowie Nasenbruch erlitten habe. Dem Mann sei »aus nächster Nähe« mit einem Stein ins Gesicht geschlagen worden; eine Beamtin habe Pfefferspray abbekommen, ein Beamter ein Bauchhämatom erlitten. »Insbesondere« dieser Angriff wurde im polizeilichen Edikt zum »Gefahrengebiet« vom 4. Januar als Begründung aufgeführt.

Eine fraglos brutale Szenerie. Nur hat sie so nie stattgefunden. Bei verschiedenen Medien haben sich Zeugen gemeldet, nach deren Schilderungen es zur fraglichen Zeit vor der Davidwache weder Vermummte noch einen Angriff gab. Niemand bekam dort einen Stein ins Gesicht geschlagen oder wurde mit Pfeffer besprüht. Selbst die Polizei musste das teilweise einräumen. Mehrere Tage später gab ein Sprecher zu, dass zumindest die Verletzung der Polizisten sich anders zugetragen hatte. Der Ermittlungsstand habe sich »entwickelt«.

Tatsächlich hat die Polizei nach Bekanntwerden der Zeugenaussagen ihre Version korrigiert. Nun heißt es, die Beamten seien eine Streifenwagenbesatzung gewesen und in der 200 Meter entfernten Hein-Hoyer-Straße attackiert worden. An der Behauptung von Steinwürfen und einem gezielten Angriff auf die Davidwache hält man fest; auch die Zuschreibung der Tat an Linksradikale wurde nicht korrigiert. Videos soll es nicht geben, obwohl an der Wache Kameras prangen. Die Revision der Geschichte spiegelte sich zumindest bis Mittwoch auch nicht im Internet. Dort stand weiter die erste Meldung. Gestern war der News-Service der Polizei lange Zeit nicht zu erreichen.

Dass die Polizei ihre Willkürzone nun erheblich einschränkte, obwohl zunächst von »Monaten« die Rede war, begründet sie selbst mit einem Blitzerfolg. Die Normalität - dass nämlich kaum »potenzielle Gewalttäter« angetroffen wurden - wird nun zum Erfolg der Patrouillen erklärt.

Tatsächlich dürfte der Grund in einem Umschwung der öffentlichen Meinung liegen. Täglich hatte es zuletzt »Kiezspaziergänge« gegeben, immer wieder wurden vor der Davidwache »Lügner«-Chöre angestimmt. Die Hamburger Medien vom »Spiegel« über die »Zeit« bis sogar zum »Abendblatt« hatten über die Zweifel an den Verlautbarungen und zunehmend kritisch berichtet. Die amerikanische Botschaft hatte US-Bürger gar vor Hamburg gewarnt. Nun ist es immerhin möglich, dass die Stadt zum Normalzustand zurückkehrt und das »Gefahrengebiet« zu einer bizarren Notiz für den Jahresrückblick zusammenschnurrt.

Sicher ist das aber noch lange nicht. Auch die verbliebenen drei Sonderzonen sind eine erhebliche Einschränkung bürgerlicher Freiheit und erfordern die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft. Vor allem aber bietet die grundrechtsfreie Woche in der sich liberal dünkenden Hansestadt ein Lehrstück in demokratiefeindlichen Bestrebungen. Die Polizei, die dazu da ist, Bürger und Gesetze zu schützen, hat hier Politik gemacht - eine Politik der gefühlten Wahrheit mit Falschmeldungen und Facebook. Dort solidarisierten sich auf Basis der Version vom 29. Dezember Zehntausende mit der Hamburger Polizei und der Davidwache. Ob diejenigen, die den »Like«-Button drückten oder die falsche Meldung weiterverbreiteten, das Weitere auch mitbekommen haben?

Das »Gefahrengebiet« war und ist ein Menetekel der Postdemokratie.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal