Malvinas kämpft ums Überleben

Ein argentinisches Dorf wehrt sich vehement gegen Fabrikbau des Genmultis Monsanto und Giftsprühaktionen

  • Ines Rummel, Córdoba
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Einwohner von Malvinas Argentinas haben lange Zeit stillgehalten - trotz der gesundheitlichen Probleme, die sie auf das Herbizid Glyphosat von Monsanto zurückführen. Nun wehren sie sich.

In dem unscheinbaren argentinischen Ort Malvinas Argentinas, 17 Kilometer östlich der Stadt Córdoba, bläst der Wind fast ständig durch die Straßen. Auch giftige Herbizidpartikel der Sojaindustrie fliegen den Menschen ins Gesicht. Die Stadt gilt als eine der ärmsten der Provinz Córdoba. Wirtschaftlich hatte sie nichts zu bieten, bis ein US-amerikanischer Konzern auftauchte. Im Juni 2012 unterzeichnete Präsidentin Cristina Fernández in New York einen Vertrag, der es dem Agrar- und Chemiekonzern Monsanto ermöglichte, eine Aufbereitungsanlage für Maissamen in Malvinas zu bauen. In den folgenden Monaten wurden Umweltgesetze und verfassungsrechtliche Regelungen umgangen. Zum Beispiel wurde schon vor elf Monaten mit dem Bau begonnen, obwohl bisher noch kein Ergebnis einer Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlich gemacht wurde.

Als die Bevölkerung von dem Monsanto-Megaprojekt erfuhr, machten Umweltschutzorganisationen sofort mobil. Die »Versammlung Malvinas Kampf ums Leben« (Malvinas Lucha por la Vida) wurde gegründet, Demonstrationen und Straßenblockaden wurden organisiert und Gerichtsverfahren eingeleitet.

Etappensieg gegen Saatgutfabrik

Seit 118 Tagen halten die Bewohner des Widerstandscamps vor den Toren der von Monsanto geplanten Saatgutfabrik an der Landstraße A-88 bei Córdoba durch. Vor fünf Tagen erreichte sie eine frohe Botschaft, wiewohl keine endgültige: Eine Kammer des Arbeitsgerichtes der Provinz Córdoba gab den Klägern statt, die Verletzungen der Umweltgesetzgebung beim Bau der Saatgutfabrik monierten.

Laut Gerichtsbeschluss müssen die Bauarbeiten unterbrochen werden, bis die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschlossen ist. Die argentinische Regionalzeitung »La Voz« geht davon aus, dass dies im Februar der Fall sein könnte. Die Kläger vermuten, dass Monsanto die Umweltverträglichkeitsprüfung bereits in der Tasche hat, da sowohl die Provinz Córdoba als auch die Zentralregierung in Buenos Aires die Monsanto-Investitionen begrüßen.

Monsanto ist seit den 50er Jahren in Argentinien. Schon 1956 begann der Multi laut seiner Website mit der Produktion und Vermarktung chemischer Produkte basierend auf Styrolderivaten. Seit 1996 dominiert Monsanto mit genmanipuliertem Saatgut den Markt in Argentinien. Heute ist der Konzern überall auf der Welt führend in der Herstellung und Verbreitung von genmanipuliertem Saatgut und Herbiziden, Insektiziden und anderen Agrarchemikalien.

In der Provinz Buenos Aires werden genmanipulierte Sonnenblumensamen, Mais und Soja produziert. Die jahrzehntelange Anpflanzung von Soja hat fast den gesamten Wald in Córdoba zerstört.

Bei den meisten Sprühaktionen wird das Unkrautvernichtungsmittel Round-up verwendet. Nach Angaben des »Universitären Netzwerks für Umwelt und Gesundheit – Ärzte in verätzten Städten« werden fast 22 Millionen Hektar Soja, Mais und andere transgene Agrarpflanzen in zwölf der 23 argentinischen Provinzen, in deren Dörfern zwölf Millionen Menschen leben, mit Glyphosat besprüht.

Der Biologe Raúl Montenegro von der Nationalen Universität von Córdoba, der 2004 den alternativen Nobelpreis erhielt, wirft den Behörden vor, die Untersuchung eines Zusammenhangs zwischen zunehmenden Gesundheitsproblemen und den Pestiziden unterlassen zu haben.

Ebenso wenig komme es zu einer angemessenen Untersuchung der Glyphosatwerte im menschlichen Blut und der Verseuchung der Wassertanks, erklärte Montenegro, der der Umweltstiftung FUNAM vorsitzt gegenüber der Agentur IPS. »Solche Versäumnisse machen Argentinien und Brasilien für Unternehmen wie Monsanto zu Paradiesen«, fügte er hinzu. »Die staatlichen Behörden fällten ihre Entscheidungen meist nur auf der Grundlage technischer Berichte und Angaben der Unternehmen selbst.«

2009 hatte die argentinische Präsidentin Cristina Fernández die Nationale Kommission zur Erforschung von Agrochemikalien geschaffen, die die Auswirkungen der Substanzen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt untersuchen, verhindern und behandeln sollten. Politische Konsequenzen hatte das bisher nicht. Mali

Nachdem die Organisation der »Mütter von Ituzaingó« und die »Versammlung Malvinas Kampf ums Leben« am 18. September 2013 vor dem Bauprojekt Monsantos ein Widerstandscamp ins Leben riefen, wurde der Zulauf an der Landstraße A-88 jeden Tag etwas größer. Das Leben im Camp ist bunt: Frauen und Männer bauen stabile Hütten und legen Gemüsegärten an. Junge Aktivisten und Aktivistinnen nutzen ruhige Momente für ihre Akrobatiknummern und eine Frau mit Rastalocken verteilt Informationsschriften über den in Córdoba ausgerufenen Ökoalarm.

Tag und Nacht erklingen an den Wachposten des Camps leise Gitarrenklänge, das lodernde Lagerfeuer wärmt nachts die Körper. Autofahrer hupen beim Vorbeifahren oder rufen »Fuera Monsanto!« (Monsanto raus!).

Die ganze Provinz Córdoba macht mit. Kreative Menschen organisieren Veranstaltungen im Protest gegen Agrarchemie und den Genmulti Monsanto, gestalten Filmdebatten und Konzerte. Auf Plätzen und Parks bieten engagierte UnterstützerInnen öffentliche Gesprächsrunden an. An der Uni wird die Agrarökologie entdeckt und entwickelt, Ärzte und Ärztinnen und Biologen und Biologinnen erstellen Gutachten und Studien. Selbst das Umweltministerium, das die Sojamonokultur massiv mitträgt, unterhält das Nischenprojekt »Prohuerta«, das Hausgärten in der Region unterstützt. Wer mitmacht, bekommt natürliches Saatgut geschenkt.

Das Camp ist Monsanto ein Dorn im Auge. Am frühen Morgen des 28. November fielen Schlägergruppen der Baugewerkschaft UOCRA in das Lager ein. Plötzlich waren sie da. 70 Frauen und Männer kamen mit zwei Bussen, griffen das Camp mit Knüppeln und Steinen an. Sie machten damit den Weg für ein Dutzend Lastwagen frei, die mit Baumaterial für Monsanto bereitstanden. 20 Leute des Widerstandscamps wurden verletzt, Hütten zerstört, Lebensmittel, Computer und Materialien geplündert. Die Polizei kam zu spät und schoss mit Gummimunition um sich.

Der zweite Räumungsversuch verlief brutaler als der erste ein paar Wochen zuvor, als die Polizei Ende September Hunderte Demonstranten auf die Landstraße zurückdrängte und gewaltsam die Blockade des Materialtransports für Monsanto aufzulösen versuchte. Beide Male wurde Sofía Gatica, bekannt durch die »Mütter von Ituzaingó«, verletzt. Die Bilder gingen um die Welt. Auf Fotos und Filmaufnahmen wurde offensichtlich, wie Frauen Opfer von Polizeigewalt wurden.

Seither schaut das ganze Land auf Malvinas. Die Solidaritätswelle wurde immer größer. Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel besuchte das Camp. Zuletzt machte der französisch-spanische Sänger Manu Chao auf seiner Tournee in Argentinien einen Abstecher zum Camp. Internationale Umweltaktivisten und -aktivistinnen schickten Solidaritätsbotschaften.

Auf dem 28 Hektar großen Grundstück will Monsanto 240 Speicher, jeweils mit einem Volumen von 160 000 Kilogramm Mais des Namens »Intacta«, aufstellen. Dieser Mais wird nicht nur genmanipuliert sein, sondern mit diversen »Wassern« gewaschen. Insektizide und Fungizide sollen helfen, dass der Mais der Massenspeicherung standhält. Die umstrittene Maisfabrik wird täglich 600 000 Liter Wasser verbrauchen. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe dafür, dass sich die Firma diesen Bauplatz ausgesucht hat. Unter Malvinas befindet sich ein enormer Grundwasserspeicher.

Eines der am häufigsten genutzten Gifte gehört der Sorte Clothianidin an, das unter dem Namen »Poncho« von Bayer Deutschland produziert wird. Andere Wirkstoffe sind unter den Namen Tebuconazole-Trifloxostrobin (Bayer) und Neoninkotinoide bekannt. Diese Gifte dürfen seit Dezember 2013 in Deutschland und der EU aufgrund des Bienensterbens nicht mehr eingesetzt werden. Diese Chemikalien sind 6750 Mal giftiger als DDT. Die Maissorte »Intacta« wird glyphosat- wie auch glufosinatresistent sein. Diese Wirkstoffe sind in Herbiziden zur Vernichtung von »Unkraut« enthalten.

Schon jetzt leiden viele Bewohner der Ortschaft an Krankheiten, für die sie die auf Feldern versprühten Chemikalien verantwortlich machen. Fehlgeburten, Lungenerkrankungen, Tumore und Krebs sind häufiger als in sojafreien Gebieten. Eine Frau klagt: »Ich habe viele Familienangehörige, die krank geboren wurden, weil ihre Eltern viel mit Agrarchemie in Berührung gekommen sind. Mein Neffe ist querschnittsgelähmt. Eine Schwägerin und eine Nichte hatten Fehlgeburten.« Würde das Grundwasser verseucht, wäre die Gesundheit aller Menschen in der Provinz Córdoba bedroht. Malvinas hat kein modernes Abwassersystem. Zudem ist nicht klar, wie Monsanto die giftigen Abwasser der Maisfabrik filtern oder ableiten wird. Zusätzlich droht die Verbreitung giftiger Partikel aus den Speichern, die der Wind über Malvinas hinwegfegen wird.

Der Intacta_Mais soll auf fast 4 Millionen Hektar Land in ganz Argentinien ausgesät werden. Jeder Sack Mais, der von Monsanto in Malvinas vermarktet werden soll, wird 80 000 Maiskörner enthalten. Sie sind bunt eingefärbt, um das Verbot für einen Verzehr zu kennzeichnen. In Europa wäre die Aussaat aufgrund seiner giftigen Bestandteile verboten. Eine Einwohnerin Malvinas erzählt, dass Hühner in dem Sack der bunten Maiskörner rumgepickt haben. Am nächsten Tag waren alle tot.

Eine Umfrage der Katholischen Universität Córdoba ergab, dass 58 Prozent der Bevölkerung in Malvinas Argentinas mit dem Monsanto-Projekt nicht einverstanden sind. Eine Umfrage in Córdoba ergab, dass über 60 Prozent der Befragten gegen die Maisaufbereitungsanlage von Monsanto sind und den Protest unterstützen. Das Misstrauen ist groß.

In der Nähe der Anlage befindet sich eine Grundschule. Trotzdem ist keine Schutzzone geplant. Aber Bürgermeister Daniel Arzani meint, große Veränderungen würden immer zu Protesten führen. Dieses Projekt sei für Malvinas sehr wichtig, denn es werde künftigen Generationen Nutzen bringen.

Doch Angst vor langsamer Vergiftung ist groß. Laut Médicos de Pueblos Fumigados (Ärzte der besprühten Gemeinden) werden in Argentinien pro Jahr 300 Millionen Liter Agrargifte über die Landschaft verteilt. Trotzdem wird das Projekt auch von der argentinischen Präsidentin und Córdobas Gouverneur Juan Schiaretti unterstützt.

Doch im Gegenzug bemühen sich immer mehr Landwirte um ökologischen Anbau. Die Biologin Stella Luque von der nationalen Universität sagt: »Die Agrarwirte wachen auf. Sie haben erkannt, dass der Konzern Monsanto versucht, sie mit Lügen auf seine Seite zu ziehen. Das hat die Bewegung der organischen Landwirtschaft gestärkt. Immer mehr Bauern stellen auf Bioanbau um und bieten Bioprodukte an.«

Temperaturen von über 33 Grad und die Regengüsse des Frühjahrs haben den Widerstand nicht geschwächt. Zwischen 30 und 40 Personen leben Tag und Nacht im Camp. Sie werden von vielen anderen unterstützt, die Lebensmittel, Wasser und Baumaterialien bringen, aber auch politische und juristische Ratschläge. An nächtlichen Versammlungen im Kerzenlicht und mit lästigen Mücken, nehmen Menschen verschiedener Gruppierungen teil. Sie führen heftige Debatten. Immer dabei sind die Bürgergemeinschaft »Malvinas Kampf ums Leben«, die »Mütter von Ituzaingó« und die Umweltbewegung der Stadt Córdobas (Asamblea Socio Ambiental Córdoba CASA).

Wiederholt hat die Firma Monsanto verlangt, das Widerstandscamp müsse sofort beendet werden. Aktivisten und Aktivistinnen wird mit Anzeigen gedroht. Die Zufahrten zur Anlage müssten sofort freigegeben werden, Stopps und Untersuchung der Arbeiter und ihrer Fahrzeuge wären illegal. Mut, Kreativität, Musik und Kultur geben dem Widerstand Kraft. Tausende Menschen demonstrierten am 3. Dezember, dem internationalen Tag gegen Pestizide. Am 8. Oktober versammelten sich Zehntausend Menschen der Provinz Córdoba und riefen dort den Ökonotstand aus.

Immer mehr Menschen glauben an einen Rückzug von Monsanto aus Malvinas. Dass die Saatgutfabrik jetzt per Richterspruch auf Eis gelegt wurde, bis die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschlossen ist, macht ihnen Mut. Leo, einer der Bewohner des Widerstandscamps träumt: »Sollte unser Widerstand siegen und Monsanto abziehen, bauen wir hier ein riesiges Gemeinschaftsprojekt mit Ökolandbau und Permakultur.«

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