Der Frischeste gewinnt

Gastgeber Dänemark ist der große Favorit vor den heutigen Halbfinalspielen bei der Handball-EM

  • Erik Eggers
  • Lesedauer: 3 Min.
Für Dänemark läuft bei der Heim-EM alles nach Plan. Die Mannschaft um Superstar Mikkel Hansen spazierte locker ins Halbfinale - jetzt zählt nur der Titel.

Zu den spektakulärsten Orten der Weltgeschichte zählt Herning nicht: Rund 50 000 Menschen wohnen hier inmitten der jütländischen Heide, umgeben vom Nichts. Das Zentrum dieses Fleckens, hat der Reporter der österreichischen Zeitung »Der Standard« geschockt konstatiert, gleiche »einer Geisterstadt aus dem wilden Westen«. Herning ist immerhin bekannt für Textilprodukte. Die Unterwäsche für Weltfußballer Cristiano Ronaldo wird hier hergestellt.

Das Halbfinale am Freitagabend gegen Kroatien (21 Uhr, live bei Sport1) soll nur Durchgangsstation sein auf dem Weg zum dritten Triumph bei dem Kontinentalchampionat. Zuvor kämpfen Olympiasieger Frankreich gegen Weltmeister Spanien (18.30 Uhr) um den Einzug in das Endspiel am Sonntag. Die Dänen, die von ihrem Rückraumstar Mikkel Hansen (Paris St. Germain) angeführt werden, haben mit sechs Siegen in sechs Spielen ihren Favoritenstatus untermauert. »Wenn wir fünf Prozent zulegen, gewinnen wir«, sagt Dänemarks Trainer Ulrik Wilbek selbstbewusst. Auch er will sich mit einem Heimsieg ein Denkmal setzen; nach der EM wechselt er im Verband auf den Posten des Sportdirektors.

Alles andere als Dänemarks Sieg wäre in der Tat eine Sensation. Das Team verfügt mit Niklas Landin (Rhein-Neckar-Löwen) über den bisher besten Keeper des Turniers und ist auf allen Positionen sehr homogen besetzt. Wilbek hat Wert darauf gelegt, dass sich die Belastung der Profis gleichmäßig auf alle verteilt - fast alle Spieler verzeichnen bisher rund drei Stunden Spielzeit. Das Kalkül: Bei den großen Meisterschaften der letzten Jahre hat die Mannschaft mit den frischesten Profis gewonnen.

Diese Homogenität geht den Kroaten ab. Die Südosteuropäer sind extrem angewiesen auf ihren Superstar Domagoj Duvnjak (HSV Hamburg). »Duvnjak ist ein einzigartiger Spieler«, lobt Wilbek die zentrale Figur des Halbfinalgegners. Der Regisseur war es auch, der im Hauptrundenspiel gegen Polen (31:28) die entscheidenden Aktionen bestritt. »Wir sind es gewohnt, in einer Atmosphäre eines Auswärtsspiels zu spielen«, erklärte der 25-Jährige danach lässig.

Die Mannschaft von Slavko Goluza beeindruckt durch ihre Konstanz, sie hat seit 2008 bei allen großen Turnieren stets das Halbfinale erreicht, konnte aber keinen Titel feiern. Nun will der Olympiasieger von 2004 wieder angreifen. »Jetzt beginnt der zweite Teil unserer Reise«, sagte Kapitän Igor Vori, »es wäre wirklich ein großes Vergnügen, gegen diese Kulisse zu gewinnen«.

Überraschungen gab es keine. Das Establishment des europäischen Handballs hat sich wieder durchgesetzt, denn auch Frankreich und Spanien gehören seit über einem Jahrzehnt zu den Spitzenkräften. Allen vier Halbfinalisten ist gemein, dass sie herausragende Individualisten in ihren Reihen haben. Neben Hansen und Duvnjak sind dies der französische Halblinke Nikola Karabatic (FC Barcelona) und der spanische Kreisläufer Julen Aguinagalde (KS Kielce). »Hätte Deutschland einen Karabatic, dann würde Deutschland auch um den Titel mitspielen«, diese These hat kürzlich der TV-Experte Stefan Kretzschmar formuliert. Da Deutschland keinen hat, hat sich die Auswahl des Deutschen Handballbundes erstmals nicht für eine EM qualifiziert.

Die Spanier hatten im WM-Finale 2013 die Dänen noch deklassiert (35:19), und doch gelten sie nun als Underdog. Denn Supertorhüter Arpad Sterbik ist nicht dabei, offiziell wegen einer Knieverletzung. Insider flüstern, Sterbiks Wunsch, den FC Barcelona verlassen zu wollen, habe die Verbandsoffiziellen verärgert. Aber womöglich hat es Sterbik einfach nicht hingezogen in die Geisterstadt in der dänischen Provinz.

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