Opferrente vor Gericht

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 2 Min.
Das Verfassungsgericht verhandelte über Opferpension und Haftentschädigung eines Mannes, der in der DDR inhaftiert war und zur Informantentätigkeit gezwungen worden sein soll.

Bei der Aberkennung von DDR-Opferrenten wegen Mitarbeit beim MfS oder anderen DDR-Sicherheitsorganen müssen Behörden prüfen, ob die IM-Tätigkeit freiwillig erfolgt ist. Das hat das brandenburgische Verfassungsgericht am Freitag in Potsdam entschieden. Bei der Rückforderung solcher Leistungen müssten Betroffene zudem gemäß europäischer Menschenrechtskonvention auch vor Gericht angehört werden.

Der betroffene Hans-Jürgen O. hatte zuvor vor Gericht erklärt, er sei zu dieser Tätigkeit erpresst worden. Das aber habe er vor keinem Gericht aussagen können, was er als Grundrechtsverletzung ansehe und weshalb er das Landesverfassungsgericht wegen Verletzung seiner Rechte anrufe. Laut Gericht war O. insgesamt 88 Monate in Haft, zumeist wegen versuchter Republikflucht.

»Wie soll jemand einen Beweis antreten, wenn nicht durch seine eigene Darstellung?«, fragte Verfassungsrichter Andreas Dresen. Als gerichtlicher Berichterstatter legte er den ausnahmsweise öffentlich verhandelten Fall dar, wonach sich O. zu einer Zusammenarbeit mit der Kripoabteilung 1-IV verpflichtet hatte, um einer Strafverfolgung und drohender zehnjähriger Haftstrafe zu entgehen. Tatsächlich und nachweisbar hatte er in Folge Angaben über Mithäftlinge und später in Freiheit auch zu Fluchtabsichten und Westkontakten anderer Bürger gemacht. Weil dies bekannt wurde, verurteilten ihn Gerichte, nicht nur 18 000 Euro Haftentschädigung zurückzuzahlen, sondern auch 13 000 Euro Zinsen.

Zur Argumentation der Gerichte, in den Akten und auch in der Verpflichtungserklärung finde sich von einer erpresserischen Situation nichts, sagte gestern Vergangenheitsbeauftragte Ulrike Poppe, bei Anwerbesituationen seinerzeit sei eventuelles Druckpotenzial selten erwähnt worden, um die Zuverlässigkeit des künftigen Helfers nicht zu beeinträchtigen. Die Vertreter der Gerichte, deren Verhalten an diesem Tage zur Debatte stand, verwiesen auf die Rechtslage, der zufolge in solchen Fällen »in der Regel nicht mündlich anzuhören« sei. Man habe sich auf die Aktenlage zu stützen.

Präsident Jes Möller sagte indes, kurz nach der Wende seien die MfS-Akten durchweg als Lug und Trug eingestuft worden. Heute dagegen herrsche die Auffassung vor: Was in den Akten nicht steht, gab es nicht. »Hier ist das Pendel doch stark in eine andere Richtung ausgeschlagen.«

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