Pete Seeger (1919 – 2014)

  • Lesedauer: 7 Min.
Durch ihn wurde das Gospellied »We shall overcome« zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung - zunächst in den USA, dann weltweit: Pete Seeger. Am Montag starb der Folksänger im Alter von 94 Jahren in New York. Weggefährten erinnern sich an Begegnungen mit dem Künstler.


This Land is your Land

Von Hannes Wader
Pete Seeger ist tot, darüber bin ich traurig, freue mich aber, dass er so alt geworden ist. Noch vor nicht mal einem halben Jahr, im September 2013, sang er auf dem Farm-Aid-Concert in Saratoga Springs, gemeinsam mit Willy Nelson und Neil Young, den wohl amerikanischsten Song, der je geschrieben wurde: »This Land is your Land«, von seinem alten Weg- und Kampfgefährten Woody Guthrie.

Wie Woody war Pete zeitlebens politisch hoch motiviert. Jedes Kinderlied, jeder Folksong, jedes Liebeslied, jedes Anti-Kriegslied, das Pete Seeger je gesungen hat, war von ihm als Ermutigung für die Armen und Entrechteten dieser Erde gedacht. Waren auf Woodys Gitarre die Worte eingebrannt: »This Machine kills Fascists«, stand auf Petes Banjo: »This Machine surrounds Hate and forces it to surrender«.

Keine Frage, dass Pete Seeger mir in meiner Jugend ein Vorbild war und es heute noch immer ist. Ausgerechnet von ihm, einem Amerikaner, hörte ich zum ersten Mal in meinem Leben »Die Moorsoldaten«. Außer ein paar Ostermarschierern kannte in der Bundesrepublik der 1960er Jahre noch niemand dieses Lied. Dank Pete ist es mittlerweile auch Teil meines Repertoires.

1986 in der DDR konnte ich Pete Seeger live auf der Bühne erleben. 1990 lernten wir uns in Dänemark persönlich kennen. Erfreut und auch etwas beschämt musste ich feststellen, dass er über mich fast mehr wusste als ich über ihn. Unter anderem kannte er meine Fassung seines Liedes »Sag mir, wo die Blumen sind«. Wenn ich behaupte, dass Pete in meinem Leben immer irgendwie präsent war, ist das nicht nur so dahingesagt. Vor etwa zwei Jahren habe ich noch sein Lied »Turn, Turn, Turn« ins Deutsche übertragen und aufgenommen. Ich werde es in Erinnerung an ihn auf meiner nächsten Tournee wieder ins Programm nehmen.

Der Musiker, 1942 in Bielefeld geboren, gilt als einer der letzten großen deutschen Liedermacher im traditionellen, sozialkritischem Sinne.

Where have all the Flowers gone?

Von Walter Kaufmann
Wer kennt sie nicht, die Songs von Pete Seeger, die ihn zum Vater des Folkrevivals machten. Immer trat er für die Sache der Arbeiter ein, für Rassengleichheit, Frieden und Bürgerrechte. Als Kommunist geriet er zwischen die Mühlsteine der politischen Verfolgung und Justiz der McCarthy-Ära, was ihn 17 Jahre lang vom US-amerikanischen Rundfunk verbannte. Er fand andere Wege, sang in Schulen, bei Jugendtreffen, vor Gewerkschaftern...

Ich sehe mich als jungen Mann von Melbourne nach Sydney zum Fest der Eureka Youth League trampen, an die 1000 Kilometer in Wind und Wetter, und immer an der Küste entlang, vorbei an Port Phillips Bay bis hin nach Wonthaggi, wo ich bei einer Bergarbeiterfamilie unterkam, und am Morgen weiter bis Bairnsdale am Tasmansee, und von dort weiter in einem Plymouth, den ein raubeiniger Unternehmer fuhr, der sich Jack nennen ließ und eine Mary als Begleiterin hatte, die irgendwie verzweifelt wirkte. Die beiden brachten mich bis Batemans Bay am Pazifik, von wo es, gemessen an australischen Entfernungen, nicht mehr weit bis Sydney war.

Dort fand ich mich auf einer großen Wiese mit schattigen Eukalyptusbäumen ein, und schon von fern schallte mir »If I had a Hammer« entgegen, und ja, es war ein Fest der Jugend, mit Losungen und Fahnen, und ob ich in den Nächten zwischen Freitag und Montag mehr als zehn Stunden schlief, ist fraglich. Drei verwegene Typen brachten mich in einem klapprigen Ford zurück nach Melbourne, was fünf Tage dauerte, wegen der Pannen, aber auch der trampenden Mädchen wegen, mit denen die drei den Ford überfrachteten. In unseren Köpfen war Pete Seeger mit seinen Liedern.

Jahre später, im Jahr 1955, auf der »Neptunia«, die uns von Sydney nach Genua brachte, war es wieder so. Einer in der Gruppe besaß ein Songbook mit Petes Liedern. Er sang los, und wir sangen mit, übten uns, um bei den Weltfestspielen in Warschau bestehen zu können - »Where have all the Flowers gone …«

Zwei Mal erlebte ich den Sänger im Berliner Osten, hörte ihn live - diese Kraft in der Stimme, die Überzeugungskraft, und wie er virtuos Gitarre und Banjo zum Klingen brachte. »Turn, turn, turn …«

Jahre danach im Central Park, New York, bei einer Rally for Peace, war die Menge um Pete Seeger so dicht, meine Entfernung zu ihm so weit, ich sah ihn wie durch ein umgekehrtes Fernrohr. Doch über die Lautsprecher hörte ich ihn gut - das Lied vom Hammer und das von den Blumen, und »Turn, turn, turn«. Das war das dritte und letzte Mal, dass ich ihn live erlebte.

Aber er war noch oft überall zugegen. Nach dem Mord an Martin Luther King am 4. April 1968 beim Poor Peoples March von Memphis, Tennessee bis Washington D. C., dort schallten seine Lieder durch die Lautsprecher über die Köpfe der Menge weg bis hin zum Weißen Haus. In San Franciscos Berkeley, als Studenten zu Tausenden gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gingen. Und in Los Angeles nach dem Freispruch von Angela Davis, und später im Madison Square Garden in New York, als ihr Sieg gefeiert wurde. Mit Blick ins Tal über den Hudson River lebte Pete Seeger in Beacon, einem kleinen Ort knapp zwei Stunden nördlich von New York City, in einem Blockhaus, das er sich selbst gebaut hat. Im hohen Alter von über 90 durfte er sagen: »Ich habe von meiner Musik gelebt. Ich bin für die Menschen aufgetreten, die mit mir singen wollten. Was mehr kann man sich wünschen?«

Der 1939 aus Nazideutschland emigrierte Schriftsteller, Jg. 1924, kam 1957 aus Australien in die DDR.

Long time ago

Von Reinhold Andert
Als die traurige Nachricht kam, legte ich noch einmal ein Video in den Recorder, eine kostbare Rarität: Pete Seeger 1967, das erste Mal in der DDR. Ein Konzert in einem kleinen Raum in der Sporthalle Karl-Marx-Allee. Zwei Wochen zuvor hat er im Madison Square Garden vor 3000 Menschen gesungen. Wir waren etwa 50, die meisten vom Hootenanny-Club Berlin. Ich sah in junge Gesichter, leuchtende Augen. Dann kam er herein, unser Gott. Auf unseren Veranstaltungen hatten wir etliche seiner Lieder gesungen, jetzt das Original! Aber kein Gott, nicht mal ein Star, sondern ein bescheidener Mann mit Banjo und Gitarre stand auf der Bühne. Aber wenn er eines der Instrumente in die Hand nahm und zu spielen anfing, wurde er doch Gott und Star, unerreichbar für uns Anfänger!

Die Leichtigkeit, mit der er ernste und traurige Lieder wie »Die Moorsoldaten« oder »Sag mir, wo die Blumen sind« sang, berührte uns tief. Wir haben später versucht, ihm hierin nachzueifern. Was wir aber vergaßen von ihm zu lernen, war, wie man andere zum Mitsingen animieren kann. Man sieht es im Film: Pete Seeger forderte nicht laut zum Mitsingen auf, er wurde leise, wirkte fast hilflos, so dass man ihn unterstützen wollte und mitsang. Das hätte man auch anderweitig von ihm lernen und nachahmen sollen.

Der Liedermacher, Jg. 1944, war Mitglied des legendären Oktoberklubs.

Schtille die Nacht

Von Victor Grossman
Mit Pete Seeger bin ich aufgewachsen. Als unbekannter Neuling sang er an unserer Schule, an der seine Tante lehrte. Er brachte die Achtklässler zum begeisterten Mitsingen von linken Liedern. Das war sein Zauber: Bei ihm klatschten die Menschen nicht mit, sie stimmten ein. Auch in Berlin, wo er im West- und Ostteil sang und zwischendurch Stuttgart besuchte und feststellte, dass sein Ur-Urgroßvater zur gleichen Schule ging wie Schiller.

Vor dem großen Konzert in der Berliner Volksbühne wusste er nicht, was ihn beim ostdeutschen Publikum erwartete. Was wusste man 1967 vom Land hinter der Mauer? Er spielte »Schtille die Nacht«, ein jiddisches Lied. Berührtes Schweigen. Dann sang er die »Moorsoldaten«. Und der ganze Saal sang mit. Ein Lied vom Spanienkrieg - das Gleiche.

Im Restaurant, vor dem Auftritt in der Volksbühne, lag plötzlich vor ihm eine fein gefaltete Serviette mit einem Kärtchen, das ich ihm übersetzte: »Herr Seeger, ich liebe Ihre Musik. Kann ich ins Konzert kommen?« Unterschrieben: »Ein Kellnerlehrling«. Der Konzertmanager winkte ab: »Es gibt keine Karten mehr, nicht mal für hohe Funktionäre!« Pete schaute seine Frau Toshi an, sie nickte, er sagte: »Er kommt ins Konzert, und wenn er mir das Banjo trägt!« Was auch geschah.

Der Journalist und Dolmetscher wurde 1928 in New York geboren.

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