Es lebe der Krach

Elektronische Instrumente der russischen Avantgarde im Kunstraum Bethanien

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein tiefes Grollen kommt von der anderen Seite der Wand. Auch lautes Rasseln, Scheppern, Donnern, Klacken und Stampfen: alles zusammen die ohrenbetäubende Geräuschkulisse zur Eröffnung der Ausstellung »Generation Z: ReNoise« - russische Avantgarde der 1920er im Kunstraum Bethanien. Tatsächlich so ohrenbetäubend, dass man kaum die Videos und Hörbeispiele versteht, die per Kopfhörer in den anderen zwölf Räumen zu hören sein sollten. Denn im 13. dürfen Besucher selbst Krachorchester spielen.

Am Tag darauf ist das Furioso der gut besuchten Eröffnung vorbei. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack bei den Machern der Ausstellung, die Teil der Schwesterfestivals Transmediale und »CTM Festival für abenteuerliche Musik« ist. Gerissen das Fell der »Big Drum«, gebrochen die Böden der »Joints«, verhakt der Griff der »Sound Combiner«: Viele der Instrumente, nachgebaute Avantgardestücke der russischen Noise-Pioniere, sind zerstört worden. »Ich habe Leute gesehen, die haben die Apparate mit den Füßen gespielt«, sagt ungläubig Peter Aidu, einer der fünf Kuratoren von ReNoise.

Normalerweise führen Aidu und seine Kollegen vom Künstlerkollektiv The Music Laboratoy selbst Stücke mit den mechanischen Geräuschmaschinen auf. Sie sind Erfindungen des heute vergessenen Vladimir Aleksandrovich Popov. Seine »Geräuschsinfonien« untermalten damals die Theateraufführungen in den besten Häusern Moskaus und St. Petersburgs: täuschend echte Züge, Fabrikhallen oder Artilleriegeschütze. Kaum jemand weiß von den künstlerisch-technischen Strömungen, die im Russland der 1920er die Musik revolutionieren wollten - und die Welt gleich mit. Viele der damals zum Teil nur auf dem Papier erträumten Instrumente sind heute nicht mehr wegzudenken - wie die E-Gitarre.

Popov hat seine Instrumente detailliert in einem 1953 erschienenen Buch beschrieben und für die Nachwelt erhalten. Schwieriger ist das mit ihren Amateurversionen, die im Nebenraum stehen. Ebenfalls in den 1920ern machte sich das Proletariat die avantgardistischen Modelle in »Noise-Orchestern« zu eigen - aus der Not heraus, denn professionelle Instrumente waren kaum zu haben. Celli aus Moppstielen und Schweineblasen, Xylophone aus Stroh und Holz, Pfeifen aus Apothekerflaschen - akribisch suchen heute die Künstler, Ingenieure und Historiker von The Musical Laboratory nach Dokumenten, die ihre Existenz belegen. »Das ist so schwierig, als ob sie aus dem Mittelalter stammen«, sagt Aidu. Es gibt kaum Quellen. Wie solche Konzerte klangen, lässt sich nur rekonstruieren.

Auf alle Fälle schief und ziemlich krachig, denn die Instrumente lassen sich nur ungefähr stimmen. »Deshalb auch der Name«, erklärt der Musiker. Noise, Krach, heißt hier nicht experimentelle Musik, wie in der zeitgenössischen Richtung mit demselben Namen. Im Gegenteil seien das eher Bands gewesen, die neben Klassischem vor allem russische Weisen und Arbeiterlieder spielten. Das Schräge dabei sei durchaus gewollt, ein Einfluss karnevalesker Volkskultur.

Ausprobieren kann man auch das berühmteste Ausstellungsstück: das Theremin, das erste elektronische Musikinstrument. Gespielt wird es berührungslos mit dem Körper, indem man die Position der Hände zu seinen zwei Antennen verändert. Ein dunkler Kasten spuckt dazu Klänge einer weltentrückten Geige aus. Mit dieser »Geistermusik« begeisterte sein Erfinder Leon Theremin ein weltweites Publikum, nach einer Tournee ließ er sich in den USA nieder.

Legenden ringen sich um den Ingenieur und Musikwissenschaftler. Ungeklärt ist seine Rückkehr in die Sowjetunion, die mit Gulag und Haft in einem Wissenschaftlergefängnis des späteren KGB endete. Ungeklärt ist auch, in welchem Umfang er die Tätigkeit für den Geheimdienst aufnahm. Sicher ist jedoch, dass die Residenz des US-Botschafters in Moskau fünfzehn Jahre lang überwacht wurde. In einem von Pionieren überreichten Adlerkopf-Siegel wurde 1960 eine Wanze gefunden. In ihrem Inneren: ein Theremin. Weder Alarmanlagen noch Synthesizer wären ohne die Vorarbeit des russischen Wissenschaftlers denkbar.

Der Kalte Krieg geistert überall durch die Ausstellung. Die Geschichten, die er liefert, sind selten Abenteueranekdoten - oft aber solche von beendeten Karrieren und Lebenswegen. Die utopische Avantgarde löste bei den sowjetischen Institutionen im besten Fall Misstrauen aus. Jedes Patent, jede Förderung musste von dem übermächtigen Musikinstitut NIMI genehmigt werden. Neue Entwicklungen verloren sich meistens in den Endloswegen der Verwaltung. Ihre Spuren, die Peter Aidu und The Musical Laboratory heute ausgraben, wurden aus dem Kulturbewusstsein in Stalins Russland getilgt.

Leise ist es nun auch im Bethanien, einsam summt das Theremin vor sich hin. So krachig wie zur Eröffnung wird es sicher nicht noch einmal: Musizieren geht ab jetzt - wenn überhaupt - nur noch unter den wachsamen Augen von Sicherheitspersonal.

»ReNoise«, bis 23.2., Kunstraum Bethanien, Mariannenplatz 2

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