BKA-Chef Ziercke verspielt letztes Vertrauen

Noch der »Fall Edathy«? Ein Spitzenmann des Bundeskriminalamtes bezog Kinderpornos aus derselben Quelle

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit klar ist, dass ein BKA-Spitzenmann auf derselben kanadischen Kinderporno-Bestellliste stand wie Sebastian Edathy, wackelt der Stuhl des BKA-Chefs. Ein Untersuchungsausschuss rückt näher.

Rücktritt? Nein! Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, ist bockig. »Ich habe offen und ehrlich alle informiert«, sagte Ziercke am Samstag zu Reuters TV. »Wir haben absolut korrekt gehandelt.« Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) habe ihm das Vertrauen ausgesprochen, sagte Ziercke.

Der Hinweis auf seinen Chef im Ministerium war als Notanker gedacht. War es klug, ihn zu werfen? Nach der Methode Merkel ist so eine Vertrauenserklärung nur die Begleitmusik zur Unterschrift unter die Entlassungsurkunde. Ziercke ist reif ... Zumal in der Affäre, die man verkürzt den »Fall Edathy« nennt, nicht nur das BKA unter Druck ist. Auch zahlreiche ehemalige und noch aktive Spitzenleute aus dem Innen- und Sicherheitsbereich der Regierung sind betroffen. Zumal jetzt, da deutlich wird, dass noch immer nicht die ganze Wahrheit über das Verhalten von Polizei und Justiz, von Niedersachsens Landesregierung und der Bundesregierung auf den Tisch des Bundestagsinnenausschusses liegt.

Was ist eigentlich geschehen? »Spiegel Online« berichtete am Freitagabend, dass nicht nur der Name des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (noch SPD) auf einer Kundenliste eines kanadischen Kinderporno-Anbieters gestanden hat. Auch ein hoher BKA-Beamter war darauf vermerkt. Man habe seinen Namen beim Abgleich der von kanadischen Ermittlern im November 2011 übergebenen Liste im BKA selbst entdeckt. Der Mann, der jahrelang führend in der Abteilung »Schwere und Organisierte Kriminalität« tätig war, wurde aus dem Amt entfernt. Die Staatsanwaltschaft in Mainz ermittelte gegen ihn seit Anfang 2012. Laut »Spiegel« akzeptierte der Beamte Ende 2012 einen Strafbefehl, um einen Prozess zu vermeiden. Das Material an sogenannten Posing-Bildern, das die Mainzer Staatsanwälte bei dem BKA-Mann sicherstellten, soll - anders als bei Edathy - definitiv strafrechtlich relevant sein.

Das Problematische an der Sache - BKA-Chef Ziercke hatte unter anderem vor dem Bundestagsinnenausschuss behauptet, seine Behörde habe die Kanada-Liste zwar 2011 erhalten, sie selbst aber gar nicht vollständig angeschaut. »Wir haben viele Spezialisten. Aber gegen die Massen, die aus dem Internet auf uns zukommen, ist man letztlich machtlos.« Allein die Festplatte aus Kanada habe 500 Stunden Videoaufnahmen und 70 000 Fotos enthalten. Dazu die Namen von 800 Beschuldigten.

Und unter denen findet man, obwohl man sich die Liste gar nicht angeschaut hat, den Namen eines Kollegen? Der Name sei einer BKA-Mitarbeiterin am 10. Januar 2012 bei der »Grobsichtung« aufgefallen, heißt es. Und dann übersieht man den Namen eines bekannten Bundestagsabgeordneten? Ziercke will glauben machen, dass es so war. Die Liste sei direkt an alle Landeskriminalämter gegangen. Erst im Oktober 2013 habe die Polizei an Edathys niedersächsischem Wohnort Alarm geschlagen und das BKA informiert.

Er, Ziercke, habe darauf sofort den Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CSU) informiert. Man kann sich vorstellen, wie der reagierte, denn er war im NSU-Untersuchungsausschuss fürchterlich mit dessen Chef Edathy zusammengerasselt. Fritsche, der heute im Bundeskanzleramt die Geheimdienste koordiniert, informierte seinen damaligen Minister Hans-Peter Friedrich (CSU), der gab SPD-Chef Sigmar Gabriel einen Wink, denn in den Sondierungsgesprächen zur Großen Koalition war Edathy durchaus ein Anwärter für einen Posten als Staatssekretär. Schließlich hat sich der SPD-Mann großes Ansehen bei der parlamentarischen Aufklärung der NSU-Verbrechen erworben. Selbstverständlich auch im BKA. Edathy übernahm dann die Leitung des Untersuchungsausschusses zum Staatsversagen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie. Die Einsetzung des Gremiums erfolgte am 26. Januar 2012, also gut zwei Wochen, nachdem das BKA die kanadischen Daten entgegengenommen und gesichtet hatte. Dass Edathy zu unbekannt war im BKA, um seinen Namen samt Adresse unter 800 anderen zu entdecken, ist absurd. Auch wenn Ziercke das so darstellt.

Mit Sicherheit hat Ziercke das Innenministerium auch über die Verfehlungen des BKA-Mitarbeiters informiert. Warum verschwieg er das bei seiner Befragung im Innenausschuss, die - glaubt man dem Vorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) - auch noch andere Fragen aufgeworfen hat?

Mittlerweile haben die Fraktionsspitzen von LINKEN und Grünen angekündigt, einen Untersuchungsausschuss beantragen zu wollen. Union und SPD wollen sich nicht sperren. »Wieder hat das BKA versagt. Und die Bundesregierung kümmert's nicht. Sie schweigt und klärt nicht auf«, moniert der Sicherheitspolitiker der Grünen-Fraktion Christian Ströbele auf Facebook. »Die ganze Geschichte stinkt zum Himmel«, meint auch sein Fraktionskollege Konstantin von Notz. Er gehörte wie der Linkenpolitiker Jan Korte zu jenen Innenausschussmitgliedern, die im »Fall Edathy« immer wieder auf Ungereimtheiten in den Darstellungen von Ziercke und Fritsche hingewiesen haben. Beide Beamte waren mehrfach befragt worden. Doch nach allem, was jetzt herauskommt, wollten sie offenbar die Chance zur umfassenden und ehrlichen Darstellung der Ereignisse nicht nutzen, meint Korte. »Gefordert ist jetzt Aufklärung und eine umfängliche Sondersitzung des Innenausschusses«, verlangte er und meint: Angesichts der Staatsaffäre, zu der der Fall Edathy geworden ist, sei es »langsam an der Zeit, dass sich auch die Bundeskanzlerin endlich mal erklärt«.

Sicher hat BKA-Chef Ziercke ihr vollstes Vertrauen - und muss gehen.

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