Verstärkte Flucht in Gottes Obhut
Seit Jahresanfang steigt die Zahl der Kirchenasyle in Deutschland rasant
Berlin. In der kurzen Zeit seit Jahresbeginn ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland in Kirchenasylen Zuflucht suchen, deutlich angestiegen. Noch Anfang des Jahres sei lediglich an 34 Orten 62 Menschen Zuflucht geboten worden, inzwischen seien es 57 Orte mit 108 Personen. Das teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft »Asyl in der Kirche« am Dienstag mit.
Demnach sind 35 der in Kirchen untergekommenen Personen Kinder, bei 46 Personen handle es sich um »Dublin-Fälle«. Nach dem 2003 in Dublin geschlossenen Abkommen zur europäischen Asylpolitik können Flüchtlinge ohne weitere Prüfung in das Land abgeschoben werden, in dem sie zuerst den Boden der EU betreten haben. Deutschland ist heute von solchen »sicheren Drittstaaten« umgeben.
Die Tradition, dass Ausgestoßene sich unabhängig von Schuld und Herkunft in sakrale Räume flüchten können, ist uralt - und eine zivilisatorische Errungenschaft. Über die antike »Hikesie« gelangte sie ins Christentum und spielte im Mittelalter eine große Rolle. Die Stadt Freising etwa war in ihrer Gänze Asyl; noch im frühen 18. Jahrhundert waren dort selbst unstrittige Totschläger sicher. Erst mit der Durchsetzung moderner Staatlichkeit kam dieses Institut an ein vorläufiges Ende. Velten Schäfer über die wachsende Zahl an Kirchenasylen.
Mit dem »Dublin II«-Abkommen war seinerzeit zwar auch das Ansinnen einer Harmonisierung der Asylverfahren und Asylkriterien in der EU verbunden gewesen. »Dies ist allerdings bis zum heutigen Tage nicht eingetreten, wie erschreckende Berichte aus Italien, Malta, Ungarn oder Griechenland belegen«, heißt es bei der Bundesarbeitsgemeinschaft. Gerade die genannten sind indes die Staaten, in denen viele der Flüchtlinge etwa aus dem Süden Europa erreichen. Deswegen halte man auch weiter daran fest, Flüchtlinge, die einmal Deutschland erreicht haben, nach Kräften vor der Abschiebung »in dysfunktionale Asylsysteme, Armut und Obdachlosigkeit zu schützen«.
Oft geht es beim Kirchenasyl darum, die im Dublin-Abkommen zementierte Sechs-Monate-Frist zu umgehen. Nach den Bestimmungen des Vertrages hat ein Staat, der einen »Drittstaat« um die Rücknahme von Flüchtlingen ersucht, nur sechs Monate Zeit zur Abschiebung in denselben. Erfolgt die Abschiebung nicht während dieses halben Jahres, sind statt der »Drittstaaten« die abschiebewilligen Staaten - oft Deutschland - für die Prüfung der Fluchtgründe zuständig. Die Behörden können diese Frist bei »flüchtigen« Flüchtlingen aber auf bis zu 18 Monate verlängern. vs
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