Die Ungeduld am rechten Rand
Der radikale Flügel der Opposition in Venezuela versucht sich durch die Straßenproteste zu profilieren
Es waren eindeutige Worte. »Natürlich sind die Venezolaner nicht dazu bereit, sechs Jahre zu warten, um diese Regierung loszuwerden und die aktuelle Krise zu beenden«, schrieb Leopoldo López am 3. Februar auf der Kurznachrichtenplattform Twitter. Seit Wochen hatte der kompromisslose Oppositionspolitiker mit dem Schlagwort »la salida« (Ausgang, Ausweg, Lösung) aggressiv für den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Nicolás Maduro geworben. Unterstützt wird er dabei von radikalen MitstreiterInnen wie der Abgeordneten María Corina Machado und dem Oberbürgermeister des Großraums Caracas, Antonio Ledesma.
Völlig anders klang hingegen Oppositionsführer Henrique Capriles Radonski, der bei den vergangenen zwei Präsidentschaftswahlen als gemeinsamer Kandidat der Opposition angetreten war. »Die Bedingungen, um jetzt einen politischen Wandel zu erreichen, liegen nicht vor«, sagte er, nachdem die Proteste am 12. Februar, dem Tag der Jugend, eskaliert waren. Ohne den Rückhalt der Bevölkerung aus den ärmeren Barrios (Stadtviertel) sei kein Machtwechsel möglich.
1989
Aufstand in Caracas nach Streichung von Sozialausgaben, der sogenannte Caracazo. Armeeeinsatz fordert über 1000 Tote. Politisches Erweckungserlebnis für Offizier Hugo Chávez
1992
Putschversuch unter Führung von Oberstleutnant Hugo Chávez Frías scheitert, Chávez und rund 1100 Militärs werden verhaftet.
1994
Der 1993 gewählte Präsident Rafael Caldera (Copei) begnadigt Chávez.
1998
Chávez mit 56,2 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt.
2002
Putsch gegen Chávez am 11. April, Massenproteste zwingen Übergangspräsident Pedro Carmona zum Rücktritt, Chávez kehrt am 14. April ins Präsidentenamt zurück
2002
Im Dezember ruft die Opposition zum Generalstreik gegen Chávez auf, hauptsächlich in der Ölgesellschaft PDVSA. Im Februar 2003 erfolglos beendet.
2004
Amtsenthebungsreferendum: Chávez wird jedoch mit 58,91 Prozent der Stimmen bestätigt.
2006
Präsidentschaftswahl: Chávez mit 62,84 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
2012
Präsidentschaftswahl: Chávez mit 55,13 Prozent der Stimmen bei einer Rekordwahlbeteiligung von 80 Prozent wiedergewählt.
2013
Hugo Chávez stirbt am 5. März an einem Krebsleiden
2013
Nicolás Maduro wird am 14. April mit 50,78 Prozent knapp zum Nachfolger von Chávez gewählt
Während die Regierung von Nicolás Maduro die Proteste als Putsch bezeichnet, ist innerhalb der Opposition tatsächlich ein Umsturzversuch im Gange. Denn mit der Strategie der Straßenproteste »bis zum Rücktritt« stellt sich der radikale Flügel der Opposition offen gegen Capriles. Capriles, amtierender Gouverneur des nördlichen Küstenstaates Miranda, lässt in seinen Reden zwar auch kein gutes Haar an der Regierung. Doch seit Beginn der Proteste hat er durch seine vergleichsweise moderate Haltung gegenüber López an Profil verloren. López, der sich am 18. Februar der Polizei stellte -. er soll laut Regierung und Generalstaatsanwaltschaft die Gewalt entfacht haben - konnte sich innerhalb der Opposition durch diese Aktion weiter profilieren.
Capriles setzt darauf, die Regierung durch Wahlen zu entmachten. Noch vor einem knappen Jahr war er allerdings selbst auf Konfrontation gegangen - mit fatalem Ausgang. Nach seiner knappen Niederlage gegen Maduro Mitte April 2013 rief er seine AnhängerInnen dazu auf, »gegen den Wahlbetrug« auf die Straße zu gehen. Bei den darauf folgenden Unruhen wurden zehn Chavisten getötet. Zwar weigerte sich Capriles bis Anfang dieses Jahres, Maduros Wahlsieg anzuerkennen. Doch in den vergangenen Monaten suchte er zunehmend den Dialog mit der Regierung. Am rechten Rand der Opposition endete nach den verlorenen Kommunalwahlen im vergangenen Dezember hingegen die Geduld. Capriles selbst hatte die Wahlen zu einem Referendum über Maduro hochstilisiert und so den Beleg dafür geliefert, dass die Chavisten an den Wahlurnen nach wie vor nicht zu besiegen sind.
Für die Opposition wäre die Schwächung von Capriles heikel. Mühsam hatten sich die zahlreichen Parteien nach dem gescheiterten Putsch 2002, dem Erdölstreik 2002/2003 und dem Boykott der Parlamentswahl 2005 darauf geeinigt, gemeinsam an Wahlen teilzunehmen. Dieser Konsens ist nun in Gefahr. Dass Capriles nach mehreren Wahlniederlagen in Folge als Oppositionsführer verbraucht ist, verwundert nicht. Doch seine zuletzt moderate Haltung ist nicht nur demokratischer, sondern mittelfristig auch die einzig erfolgversprechende. Bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr könnte die Opposition durchaus die Mehrheit der Sitze erringen und ab 2016 dann Unterschriften für ein Abwahlreferendum gegen Maduro sammeln, um vorzeitige Neuwahlen zu erzwingen. Dem rechten Rand dauert dies offenbar zu lange. Für die venezolanische Demokratie wäre die Stärkung dieses Sektors ein Rückschritt.
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