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»Apple ist die digitale DDR«

Debatte in der Friedrich-Naumann-Stiftung zur Macht der Internetkonzerne

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 3 Min.

Glaubt man der Analyse des österreichischen Autors Roman Maria Koidl, so leben wir wieder in einer Diktatur. Nicht in einer politischen, aber in einer Gesellschaft, in der Daten rund um die Uhr gespeichert und letztlich zu unserem Schaden missbraucht werden. In »Web Attack - der Staat als Stalker« hat Koidl versucht, das derzeit und demnächst Machbare aufzuzeigen. Daten seien »das Öl des 21. Jahrhunderts«. Viele würden schon heute ihre persönlichen Dinge bereitwillig preisgeben, sei es, um einfach dabei sein zu können im Internet, sei es, um durch Payback-Punkte vermeintliche Preisvorteile zu ergattern.

Koidl berichtete jüngst auf einer Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung über besonders skurrile Fälle. In Großbritannien habe eine Kundin von ihrem Supermarkt einen Glückwunsch zur Schwangerschaft erhalten. Die Frau, die offenbar tatsächlich einen Kinderwunsch hatte, habe jedoch noch gar nichts von ihrem Glück gewusst und sei zum Arzt gegangen. »Und tatsächlich, sie war guter Hoffnung. Das wurde aber nicht im Labor festgestellt, sondern zuerst aus ihrem signifikant geänderten Kaufverhalten per Computeranalyse herausgelesen«, so Koidl.

Schon jetzt weiß der Onlinehändler Amazon bereits vor seinem Kunden, welche Bücher dieser als nächstes bestellen dürfte. Immer exaktere Kundenprofile lassen immer genauere Kalkulationen zu. Die Zukunft gehöre also der Manipulation, die erst durch immer präzisere Datensammlungen möglich werde. Nur, was passiert mit diesen Daten genau? Ein Schweizer Unternehmen bietet der AOK Nord bereits die Sammlung solcher Daten an. Ziel sei es eben, besonders gesund lebenden Menschen einen günstigeren Tarif anzubieten, erläuterte Koidl. Und was ist mit den chronisch Kranken? Fallen diese künftig aus der Solidargemeinschaft heraus? Werden Menschen künftig nicht mehr in bestimmte Länder einreisen dürfen, weil bereits die Grenzbehörden wissen, dass es potenziell Kranke sind, die die heimische Gesundheitskasse belasten könnten? Die Schufa hat bereits ein Experiment gestartet, mit Hilfe von Facebook-Daten die Kreditwürdigkeit von Bankkunden zu bestimmen. »Wir sind in der Situation, dass eine kleine Zahl von Unternehmen die Weltherrschaft ergreifen will. Apple ist die digitale DDR.« Der Staat sei angesichts der Macht der Internetkonzerne nahezu handlungsunfähig.

Der Journalist Hajo Schumacher gab sich angesichts dieser düsteren Analyse betroffen, hatte aber auch einen einfachen Tipp parat. Es sei doch immer noch die Entscheidung eines jeden Einzelnen, ob er permanent online sein wolle oder nicht. »Wer zwingt denn die Menschen, sich das neueste Smartphone anzuschaffen oder bei Facebook ein eigenes Profil anzulegen?«

Auch Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer konnte sich dem reißerischen Ton von Koidl nicht ganz anschließen. Einerseits gebe es eine berechtigte Angst vor der Datensammelwut. Andererseits würden auch in Deutschland die meisten Bürger begrüßen, dass der Ankauf von sogenannten Steuersünder-CD viele Steuerhinterzieher - von Uli Hoeneß bis Alice Schwarzer - ins Licht der Öffentlichkeit getrieben hätten.

Roman Maria Koidl, Der Staat als Stalker, Goldmann, 144 S. 8,99 €.

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