Blick über den eigenen Tellerrand fehlte

Konferenz über die Krise der sozialen Reproduktion bringt über 60 Initiativen in Berlin zusammen

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Pflege von Menschen wird zwar immer wichtiger, aber dennoch geringgeschätzt. Das linke Konzept der »Care Revolution« will Abhilfe schaffen.

Über 60 Initiativen hatten am vergangenen Wochenende zur »Care-Revolution«-Aktionskonferenz in die Räume der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Berlin geladen, um über die Krise der sozialen Reproduktion und mögliche Lösungsansätze zu diskutieren. Dem Aufruf folgten etwa 500 Interessierte, die aus Deutschland sowie aus Österreich und der Schweiz angereist waren. Durch die Konferenz sollte eine Vernetzung der verschiedenen Gruppen, die zu Gesundheit, Bildung, Wohnen und Sorgearbeit aktiv sind, ermöglicht werden. Dies sei, so der Berliner AK Reproduktion, eine der Mitorganisatorinnen der Konferenz, auch gelungen: »Es gab einen sehr lebendigen Austausch. Viele Menschen aus den unterschiedlichen Spektren haben auf diese Gelegenheit gewartet.« Auch sollte die Konferenz Gelegenheit bieten, unterschiedliche, teils widersprüchliche Perspektiven zusammenzubringen. Dies gelang jedoch nur bedingt.

Generell wurde kritisiert, dass auf der Konferenz die Perspektive der zweifellos unter Druck stehenden Beschäftigten stark vertreten gewesen sei, die der Betroffenen dagegen kaum. Der Workshop »Recht auf gute Pflege und Assistenz« bemühte sich darum, die Blickwinkel der Beschäftigten mit denen der auf Pflege und Assistenz Angewiesenen zu verbinden. Persönliche Assistenz ist ein Konzept, das es Menschen mit Behinderung erlaubt, ein selbstbestimmtes Leben außerhalb von Heimen zu führen. Sie entscheiden selbst darüber, welche Form von Unterstützung und Pflege sie wann, wie und wo benötigen - und die angestellten Assistenten stellen diese ohne Bevormundung oder Betreuungsanspruch bereit. Einigkeit bestand in der Diskussion zwar darüber, dass eine gute Bezahlung im Interesse beider Seiten liege. Wie diese jedoch zu erreichen sei, blieb unklar. Wie mit den unter prekären Arbeitsbedingungen oft auftretenden Spannungen und Interessensgegensätzen umzugehen sei, konnte aus Zeitgründen lediglich andiskutiert werden.

Auf der Konferenz wurden die gute Atmosphäre, der reibungslose Ablauf und der wertschätzende Umgang der Teilnehmer miteinander gelobt. Angesichts der extremen Sozialkürzungen in den von der Krise betroffenen Ländern wie Griechenland, Portugal, Großbritannien oder Spanien wurde allerdings der fehlende Blick über den eigenen Tellerrand beklagt. Kritik wurde auch daran geübt, dass unklar blieb, was genau mit dem Begriff »Care-Revolution« gemeint sei. Der Aktionscharakter der Konferenz zeigte sich in der Demonstration, die am Samstagnachmittag durch den Berliner Bezirk Friedrichshain zog, um Orte der Sorgearbeit sichtbar zu machen.

Zustimmung unter den Konferenzteilnehmern fand eine »Care Resolution«, auch wenn es heftige Debatten darüber gab, ob »Frauen« mit Sternchen oder ohne zu schreiben sei und über die Aufnahme der Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Einigkeit bestand darin, die lokalen Strukturen zu stärken und weiter zu vernetzen. Eine Konsolidierung der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure soll durch die Gründung eines Vereins erreicht werden.

Die Aktivisten wollen sich als nächstes an den Protesten rund um den 1. Mai und in die Mobilisierungen zu den europaweiten dezentralen Blockupy-Aktionstagen Mitte Mai beteiligen, um die Care-arbeit sichtbar zu machen. Am Montag können die konkreten Kämpfe und der Streik der Beschäftigten der Charité mit einer Demonstration um 12.00 Uhr am Charité Campus Mitte unterstützt werden.

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