Goldenes Ende

Bei den Paralympics holt das deutsche Team 15 Medaillen

  • Ronny Blaschke, Sotschi
  • Lesedauer: 3 Min.
Das deutsche Team hat bei den Paralympics in Sotschi als zweitbeste Mannschaft hinter Russland insgesamt 15 Medaillen gewonnen, davon neun goldene. 2010 in Vancouver gab es mit 24 Medaillen (13 in Gold) deutlich mehr Edelmetall.

Aus dieser Bilanz sollte man keine Misere schließen. In beiden Fällen haben wenige Sportler die großen Erfolge ermöglicht, in Sotschi vor allem die Monoskifahrerin Anna Schaffelhuber. Die 21-jährige Querschnittsgelähmte vom TSV Bayerbach gewann in fünf Rennen fünfmal Gold. Bei den Olympischen Spielen vor wenigen Wochen waren 153 deutsche Athleten vertreten, bei den Paralympics 13. In den fünf paralympischen Wintersportarten ist die Konkurrenz mitunter dünn, das zeigte die Superkombination in der sitzenden Klasse: Nur Schaffelhuber und ihre deutsche Kollegin Anna-Lena Forster kamen ins Ziel, alle anderen schieden aus.

Dieses Verhältnis spricht nicht gegen die Leistung von Anna Schaffelhuber, sondern für einen nachhaltigeren Blick auf den Behindertensport. »Das bedeutet nicht, nun auf die Schnelle einen Leistungsstützpunkt für Snowboard gründen zu müssen«, sagt Ludger Elling, Vizepräsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) für Bildung und Lehre. »Jedes Kind mit einer Behinderung sollte die Wahl haben, Sport treiben zu dürfen.« Je größer die Wahlmöglichkeiten sind, desto größer wird die Konkurrenz bei den Weltspielen. »Wir brauchen die Paralympier als zugkräftige Botschafter.« Wie Anna Schaffelhuber oder Andrea Eskau vom USC Magdeburg, die als Querschnittsgelähmte zum Auftakt im Biathlon-Sprint und zum Abschluss am Sonntag im 5-km-Skilanglauf die Beste war.

Der DBS vertritt den Sport in seiner Ganzheitlichkeit. Die 13 Athleten in Sotschi haben einen Verband mit mehr als 650 000 Mitgliedern vertreten. Die Gesellschaft wird älter, daher ist der DBS in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel gewachsen. Die große Mehrheit ist im Rehabilitationssport aktiv, ihr Durchschnittsalter liegt bei über 60 Jahren.

Acht Millionen Menschen haben in Deutschland eine Behinderung, zehn Prozent von ihnen sind sportlich aktiv. Von Kindern und Jugendlichen haben bundesweit sechs Prozent eine Einschränkung. Bei ihnen liegt der Organisationsgrad in den Sportvereinen bei 40 Prozent. Das sei gut, aber steigerungsfähig, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. »Uns fehlt ein flächendeckendes Nachwuchssichtungssystem. Oft werden Talente durch Zufall entdeckt.« In den Wintersportarten spielt der Zufall eine größere Rolle, barrierefreie Sportanlagen sind rar. Paralympische Leistungsstützpunkte gibt es in Berchtesgaden für Ski alpin, in Freiburg für Ski nordisch und in Hannover für Schlittenhockey.

Die zentrale Frage ist, ob es diese Stützpunkte geben muss. Die Vereinten Nationen haben 2006 Inklusion zu einem Menschenrecht erhoben, die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen. Es geht dem DBS um eine Angliederung an bestehende Strukturen: Trainingsstätten, Betreuung, medizinische Versorgung. Olympia und Paralympics können logistisch nicht zusammengelegt werden - Kreissportfeste, Freizeitturnen, Antidopingschulungen sehr wohl.

In der Leichtathletik oder im Schwimmen gibt es vielversprechende Projekte für inklusiven Sport an Standorten wie Leverkusen oder Berlin. Im Wintersport aber gibt es wenige Partnerschaften. »Wichtig ist, dass wir Berührungsängste abbauen«, sagt Karl Quade, Chef de Mission des deutschen Paralympics-Teams. »Leider können wir nicht viel Geld mitbringen.« Vom Deutschen Skiverband war kein Vertreter zu den Paralympics gereist, mit Ausnahme des ehemaligen Präsidenten Alfons Hörmann, der seit Dezember dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vorsteht.

Künftig will der DBS mehr auf die Fachverbände zugehen. »Kann ein Betreuer oder Trainer von Nichtbehinderten im Rollstuhl sitzen?« Fragen wie diese stellt der Bildungsbeauftragte Ludger Elling bei seinen Vorträgen. Sportarten wie Rollstuhlcurling oder Schlittenhockey können ebenso von Nichtbehinderten betrieben werden wie Sitzvolleyball oder Rollstuhlbasketball.

Von der Medaillenhatz in Sotschi muss der Verband nun wieder zweieinhalb Jahre bis zu den Sommer-Paralympics in Rio zehren. In dieser Zeit will der DBS seine wichtigsten Projekte vorantreiben, zum Beispiel den Schulwettbewerb »Jugend trainiert für Paralympics«. Er hat nun Werbeträger, die die Herausforderungen nicht mehr ganz so groß erscheinen lassen, wie die neue Hoffnungsträgerin Anna Schaffelhuber aus Bayern, die seit ihrem fünften Lebensjahr im Rollstuhlsitz. Die persönlichen Erfolge seien schön, sagte sie in Sotschi, aber ebenso wichtig sei es, ihren Sport ins Schaufenster zu stellen.

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