Ein paar Jubelarien zu viel

Paralympics: Deutsche Vertreter hätten sich in Sotschi mehr Kritik am Gastgeber gewünscht

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes Beucher kritisiert die Internationale Verbandsführung für ihre Kritiklosigkeit in Sotschi. Doch sein Einfluss bleibt begrenzt.

Am Tag danach kann sich Friedhelm Julius Beucher noch immer in Rage reden, wenn er an das Verhalten von Philip Craven denkt, den Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). Beucher, selbst Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) weiß, dass Craven nichts an der russischen Außenpolitik ändern kann, trotzdem hatte er sich eine Haltung gewünscht, die zumindest Raum für Interpretation lässt: »Ich bin enttäuscht von Herrn Craven. Eine Jubelarie nach der andern abzuspulen, gehört sich nicht angesichts der Lage. Von einem Briten, dem Demokratie wichtig ist, hätte ich mehr erwartet.«

Craven hatte die Winterspiele in Sotschi während der Abschlussfeier am Sonntagabend als die besten Paralympics aller Zeiten bezeichnet. Tausende Zuschauer im Fischt-Stadion applaudierten, auch der russische Präsident Wladimir Putin. Ans Mikrofon trat auch der stellvertretende Ministerpräsident Dmitri Kosak. Dass Politiker statt Organisationsleiter in diesem Rahmen sprechen, ist ungewöhnlich. Zeitgleich wurden erste Ergebnisse des Krim-Referendums bekannt, das westliche Politiker als illegal bezeichneten. Während Putin ein Feuerwerk bestaunte, stellten sich ukrainische und russische Soldaten auf eine Eskalation auf der Halbinsel ein.

Der Sozialdemokrat Beucher wird im Juli 68 Jahre alt, von 1990 bis 2002 saß er im Deutschen Bundestag, die letzten vier Jahre als Vorsitzender des Sportausschusses. Beucher hat seine berufliche Laufbahn hinter sich, er muss niemandem mehr gefallen. Unter der Woche hatte er eine Essenseinladung des russischen Präsidenten an Paralympische Komiteechefs ausgeschlagen. Und er wollte Kollegen aus anderen Ländern überzeugen, es ihm gleichzutun. Einige waren seiner Meinung und zeigten das auch, andere hielten sich zurück. Das norwegische Komitee zum Beispiel wollte keine Unruhe stiften, denn Oslo hofft auf die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2022.

Am Samstag lud der DBS das ukrainische Team ins Deutsche Haus von Krasnaja Poljana ein. Waleri Suskewitsch, Präsident der ukrainischen Delegation und Parlamentsmitglied in Kiew, berichtete von seinem zweiten Treffen mit Putin innerhalb von zehn Tagen: »Niemals zuvor in der Geschichte hat ein Gastgeber eine Intervention gegen ein Land ausgeübt, das an den Paralympics teilnimmt. Das ist eine schreckliche Situation.« Er glaubt immerhin, dass die Paralympischen Spiele eine weitere Eskalation auf der Krim gestoppt haben. Während der Abschlussfeier zeigte die ukrainische Fahnenträgerin Ljudmila Pawlenko im Gegensatz zu den anderen Flaggenschwenkern kaum eine Regung, die Fahne hing nur an ihrem Rollstuhl. Auf ihrem gelben Pullover standen auf Russisch und Englisch die Worte »MIR« und »PEACE« - Frieden.

Friedhelm Julius Beucher sagt, dass es Wiederholungen dieser Art nicht geben dürfe. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) müsse seine Vergaberichtlinien stärker an Menschenrechtsfragen ausrichten. »Zurückhaltung bedeutet Zurückweichen«, sagt Beucher, auch mit Blick auf Thomas Bach, den neuen Präsidenten des IOC. Bach hatte am Eröffnungstag der Paralympics mit Putin lächelnd Champagner getrunken.

Die Paralympische Bewegung könnte bei der Vergabe eine stärkere Rolle spielen, glaubt Karl Quade, Chef de Mission des deutschen Teams. Er hatte sich bemüht, in das 15-köpfige »Governing Board« des IPC gewählt zu werden - vergeblich. Beucher möchte keinen Versuch unternehmen, in den Führungszirkel aufzurücken. Er sei im deutschen Ehrenamt ausgelastet und werde nicht jünger. So bleibt der internationale Einfluss des weltweit größten Behindertensportverbandes begrenzt.

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