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Gollum, schwul, Sklave

»Der Unfertige« - ein Film von Jan Soldat

  • Elke Koepping
  • Lesedauer: 3 Min.

Völlig nackt sitzt er vor der Kamera, von Kopf bis Fuß rasiert. Unsicher, aber auch ein bisschen stolz schweigt er mitten ins Bild und lächelt zurückhaltend. Zerbrechlich wirkt er mit den abstehenden Ohren, die wegen seines rasierten Schädels doppelt groß erscheinen, genau wie seine Augen. Über sie ist er vor unseren Blicken entblößt, auch an der Seele. Klaus hat nichts zu verbergen, es macht ihm Spaß, sich zu zeigen, uns und der Kamera. »Stellst du dich mal kurz vor?«, bittet ihn Regisseur Jan Soldat aus dem Off.

»ODW-Gay (Odenwald-Gay), oder Gollum, oder Klaus. 60 Jahre alt, schwul. Sklave«, antwortet Klaus. Und tatsächlich erinnert er in seiner Nacktheit in einem Raum, der nichts über ihn und die Gesellschaft, in der er lebt, erzählt, ein bisschen an Gollum, die gequälte Seele aus »Herr der Ringe«, die böse ist, aus der Not heraus gehorchen zu müssen, und zugleich nackt und einsam. Die nichts sehnlicher wünscht, als mit ihrem »Schatz« vereint zu werden. Nach und nach begegnen wir diesem Menschen Klaus, der dienen möchte und Bestrafung liebt, im Gespräch. Er erzählt von seinem Coming Out, von der Nazivergangenheit seines Vaters und vom Verhältnis zu Mutter und Geschwistern. Jan Soldat begleitet ihn mit der Kamera zu einem Date als Putzsklave und in ein Sklavencamp im Erzgebirge, eine Art Workshop für BDSM-Praktizierende und Fetisch-Liebhaber.

»In dem Sklavenlager bin ich schon an meine Grenzen gekommen«, erzählt Jan Soldat im »nd«-Gespräch. »Das hat mich bestimmt eine Woche beschäftigt. Aber ich versuche das nicht in den Film einfließen zu lassen.« Er ist erfreut darüber, wie das Porträt von Klaus bei seiner Premiere in Rom aufgenommen wurde, wo er beim Festival Internazionale del Film di Roma mit dem CineMAXXI-Award ausgezeichnet wurde. »Es ging in den Gesprächen viel um die Würde von Klaus und wie sensibel wir uns begegnet sind. Ich hatte das erste Mal durchgehend das Gefühl, die Leute verstehen, um was es mir in dem Film ging.« Soldat steht noch ganz am Anfang seiner Laufbahn, eben erst hat der aus Chemnitz stammende Filmemacher seine Ausbildung an der HFF in Potsdam abgeschlossen.

Ihn reizt die Fragestellung, wie sich Sex als Teil des Alltags unaufgeregt im Film abbilden lässt. Ohne Wertung, ohne Voyeurismus, ungeschönt, nüchtern. Dabei gelingt ihm die Gratwanderung, sowohl seinen Protagonisten als auch den Zusehenden mit Respekt zu begegnen. Bei einer Art Werkschau in der Volksbühne gibt es neben der Deutschland-Premiere von »Der Unfertige« auch seine Dokumentation über zwei Zoophile zu sehen, die über die Beziehung zu ihren Hunden sprechen und bei »Ein Wochenende in Deutschland« ein Wiedersehen mit Manfred und Detlef aus »Zucht und Ordnung«. Die beiden Mittsiebziger vergnügen sich diesmal in einer Kleingartenkolonie zwischen Begonien und Bienenstich mit ihren BDSM-Spielen. Da kann die Bratwurst der Nachbarn genussmäßig nicht mithalten.

24. März, 20 Uhr, Volksbühne, im Anschluss Publikumsgespräch mit Regisseur und Protagonisten

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