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Lost places: Orte mit Zukunft

Junge Künstler im Salon

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Im Jahr 2000 wäre unser Haus auch fast zu einem verlassenen Ort geworden. Wir hatten schon Anfragen von Filmemachern, die das Gebäude noch einmal filmen wollten.« Matthias Schindler, Geschäftsführer der Grundstücksgesellschaft Franz-Mehring-Platz 1, also des nd-Gebäudes, weiß um die »Faszination verlassener Orte« auf junge Künstler, um die es am vergangenen Freitagabend im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung ging.

Aufgegebene Fabrikhallen, Werkkomplexe, in denen früher Tausende Menschen arbeiteten, in denen heute statt des Lärmens der Maschinen nur einzelne Wassertropfen, von der Decke fallend, zu hören sind: »Vor allem junge Menschen sind von diesen Orten fasziniert.« Die Fotografin Juliane Eirich glaubt, dass dies vor allem an der Funktionslosigkeit dieser Plätze liegt: »Das Gebäude schreibt nicht mehr vor, was ich in ihm machen muss.« Nur noch Mauern, Wände, Raum und Licht: Sie konservieren gleichzeitig Vergangenheit und sind Projektionsfläche für eine mögliche Zukunft.

Solche Orte fordern zur künstlerischen Reflexion geradezu heraus. Fast jeder, der schon einmal in eine alte Fabrikhalle eingestiegen oder eine stillgelegte Bahnstrecke entlanggewandert ist, hat zumindest eine Kamera dabei: Dokumentation des Vergangenen im Jetzt. Oder gibt dem Raum eine völlig neue Funktion, so wie Skater oder Parcourkünstler: ein neuer Spielraum, der so nie geplant war.

Viele verlassene Orte finden sich in Transformationsgesellschaften, in Ostdeutschland fast überall, sehr geballt in und um Leipzig. Der Regisseur Enno Seifried hat in zwei Filmen viele dieser »lost places« seiner Heimat dokumentiert, ein dritter Teil wird im Mai uraufgeführt. »Eigentlich sind die Orte gar nicht verlassen«, stellt er immer wieder fest. In den 90er-Jahren standen ganze Straßenzüge überall in Leipzig leer, sie wurden teilweise besetzt, in alten Werkhallen fanden Technoparties statt, literarisch verewigt von Clemens Meyer.

»Man ist schon extrem verführt, fasziniert zu werden.« Maria Turik, Studentin der Bildhauerei der Kunsthochschule Halle, hat alte Empfangsformulare aus dem teilweise seit Jahrzehnten aufgegebenen Handelshafen von Havanna bearbeitet und künstlerisch verfremdet. Eine romantisch-melancholische Schwärmerei, das bloße Suchen nach »Ruinen-Chic«, liegt ihr aber wie allen an diesem Abend fern: »Muss denn so ein Leerstand immer mit Schmerz gesehen werden? Sind solche Wandlungen nicht einfach Teil eines fast schon biologischen Wandlungsprozesses von Gesellschaften?«, fragt sie rhetorisch in die Runde.

»Phantomschmerz« gibt es nur bei denen, die biografisch mit den Plätzen verbunden sind, für jene, die in der alten Fabrik nicht nur eine Ruine sehen, sondern ihr »Lebenswerk.« Aber egal, ob biografische Verbundenheit oder nicht: »Ich habe noch nie jemanden getroffen, der über solche Gebäude einfach so hinweggegangen ist«, fasst Seifried die Anziehungskraft verlassener Orte noch einmal zusammen. Die aus dem Jetzt in die Vergangenheit blicken und von der Zukunft träumen lassen.

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