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Verhärtete Fronten am Oranienplatz

Die Baumbesetzung und ein Hungerstreik gingen auch am Freitag weiter, einige Flüchtlinge haben keine Unterkunft und Identitätskarte bekommen

  • Marina Mai 
und Jonas Pentzien
  • Lesedauer: 4 Min.
Die übriggebliebenen Flüchtlinge setzten auch am Donnerstag ihren Mittwoch begonnenen Hungerstreik fort. LINKEN-Politiker Andrej Hunko suchte das Gespräch mit Baumbesetzerin Napuli Langa.

»Du bist zu spät gekommen - wo warst du am Dienstag?«, rief einer der sich seit Mittwoch im Hungerstreik befindenden Flüchtlinge, als Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, am Donnerstagabend auf den Oranienplatz kam. Hunko kam auf Bitte von Teilen der Unterstützerszene. Sie hofften, dass ein Abgeordneter des Bundestages mit warmer Kleidung und Essen durch die von der Polizei aufgestellten Absperrungen und Kontrollen zu Napuli Langa vordringen kann, die seit Dienstagnachmittag einen Baum auf den Platz besetzt hält.

Als Hunko ankam, hatte Langa jedoch gerade zum ersten Mal seit Tagen Essen bekommen. Der Bundestagsabgeordnete wollte sich einen Überblick über die Lage am Oranienplatz verschaffen, das »nd« begleitete ihn auf seiner Tour. »Sehr schlecht« gehe es ihr, sagte Langa dem »nd«. »Es ist vor allem nachts sehr kalt und ich habe nicht genügend Decken.« Eine einzelne leere Wasserflasche hängt an einem Seil, warme Kleidung wird von der Gruppe hochgeworfen - nur in großen Abständen erlaubt die Polizei überhaupt eine Versorgung.

»Das Versammlungszelt muss wieder aufgebaut und der Infopoint zugänglich gemacht werden«, fordert Langa. Darüber hinaus sollen auch die Flüchtlinge, die nicht auf die von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) angefertigte Liste aufgenommen wurden, eine Unterkunft bekommen. »Wenn die Politik diese Forderungen erfüllt, komme ich herunter«, sagt sie. »Jetzt ist Zeit für Taten, wir wollen kein Gerede mehr hören.«

Auf der anderen Seite des Oranienplatzes haben Unterstützer eine Mahnwache angemeldet. Auf einem Schild steht: »Die Forderungen bleiben«. Das heißt Akzeptanz für die Proteste auf dem Oranienplatz, ein Wiederaufbau der für die Debatten notwendigen Zelte und eine Zusage, dass die besetzte Schule in Kreuzberg nicht geräumt wird. Die Situation ist angespannt, niemand weiß so recht, was in den nächsten Tagen passieren wird. Die Polizei ist mit mehr als 60 Beamten vor Ort. Die Flüchtlinge verweisen immer wieder auf den politischen Anspruch ihrer Proteste. »Du musst dafür sorgen, dass denen im Bundestag klar wird, dass wir hier bleiben werden«, sagt der Geflüchtete Patras Bwansi zu Hunko.

Der Politiker der Linkspartei sichert zu, mit Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) sowie mit der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), zu sprechen und auf die politischen Forderungen der Flüchtlinge zu verweisen - darüber hinaus ist aber auch er ratlos im Angesicht der verhärteten Fronten.

Anschließend fuhr Andrej Hunko weiter zur besetzten Schule, während die verbliebenen Unterstützer und Flüchtlinge auf dem Oranienplatz ihre nächsten Schritte beraten. Alle sind sich einig, dass weiter politisch gekämpft werden müsse.

Dass nicht alle ehemaligen Bewohner des Platzes in den Namenslisten erfasst wurden, die dem Senat vorliegen, darauf machte am Donnerstagabend auch eine Gruppe Geflüchteter im Büro der Integrationsbeauftragten Monika Lüke aufmerksam. Die Gruppe von rund einem Dutzend Betroffenen stattete Lükes Büro einen unangekündigten Besuch ab. Sie haben entweder noch kein Bett in einem Asylbewerberheim oder noch keine Identitätskarte bekommen, mit der sie sich ausweisen können - oder beides nicht.

Lükes Sprecher John Röhe bestätigt den »Besuch, der eigentlich ganz nett ablief.« Es würden sich immer wieder ehemalige Oranienplatzbewohner melden, die auf den Listen nicht erfasst seien, sagte Röhe. »Wir klären das gerade.«

Auch die Grüne-Bezirksverordnete Taina Gärtner aus Friedrichshain-Kreuzberg, die im vergangenen Jahr lange auf dem Oranienplatz mit den Flüchtlingen gewohnt hatte, bestätigt, dass eine ihr unbekannte Zahl ehemaliger Platzbewohner nicht auf den Listen stünde. Das beträfe sogar einen Sprecher der Gruppe. Die Leute hingen nun in der Luft. »Ich gehe von einem Informationsverlust aus bei der Übertragung der handgeschriebenen Listen in Excel-Dateien«, sagte Gärtner. Viele Flüchtlinge hingegen sprechen von einer »Manipulation« durch ihre eigenen Sprecher.

Der Senat hatte im Januar Verhandlungen aufgenommen. Dabei waren die Flüchtlingssprecher verpflichtet worden, die Bewohner des Oranienplatzes und der besetzten Schule namentlich zu erfassen. Nur wer auf der Liste steht, sollte von der sozialen Versorgung durch das Land Berlin profitieren.

An diesem Samstag will die extrem rechte Partei »Pro Deutschland« vor der Unterkunft der Flüchtlinge in Friedrichshainer demonstrieren. Eine Gegendemo ist für 10.30 Uhr angemeldet.

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