Totenasche und Bürgerzorn

Initiative im niedersächsischen Brögbern will den Bau eines Krematoriums verhindern

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Gefährdet Gift aus Leichenzähnen, gefährden Leichenwagen die Kinder in Brögbern (Niedersachsen)? Bürger befürchten das und wehren sich gegen ein geplantes Krematorium. Das könnte Schule machen.

Die allerletzte Reise beginnt für viele Menschen im Emsland mit einem Umweg, wenn sie eine Feuerbestattung wünschen. Im heimischen Landkreis gibt es kein Krematorium. Die Bestatter müssen mit den Verstorbenen zur Einäscherung mindestens 75 Kilometer weit nach Osnabrück fahren oder ins noch fernere Oldenburg. Nun wollen zwei holländische Investoren die verbrennungstechnische Versorgungslücke schließen. Nach ihren Plänen soll im 3000 Seelen kleinen Brögbern, einem Ortsteil der Stadt Lingen an der Ems, ein Krematorium entstehen.

Doch kaum war das Konzept 2013 vorgestellt worden, flammte Bürgerzorn auf. Eine Initiative »Kein Krematorium« fand sich zusammen, warnt seither vor Umwelt- und Verkehrsbelastungen durch das Projekt. Immer wieder gibt es Demonstrationen, Versammlungen und Unterschriftsaktionen gegen die Verbrennungsanlage. Für Aufregung in dem eher beschaulichen Ort, der mit »attraktiven Wohngebieten in schöner Natur« für sich wirbt, sorgt jetzt ein unbekannter Krematoriums-Hasser. Er schickte einen Drohbrief an jenen Mitbürger, der als dritter Investor das Grundstück für den geplanten Bau beisteuert. Als »Verräterschwein« beschimpft ihn der Anonymus und kündigt an: »Wenn in Brögbern die erste Leiche brennt, brennt auch bald dein Hof.« Der Empfänger des Briefes und auch seine Familie müssten mit »körperlichem und materiellem Schaden« rechnen. Unterzeichnet ist der Schrieb mit »Aktion Kremawahn«.

Entschieden distanziert sich die Bürgerinitiative von diesen Zeilen. Die BI wehre sich mit friedlichen Mitteln, mit Argumenten. Eines davon ist die Warnung vor Quecksilber. Es könnte immer dann aus dem Schornstein der Verbrennungsanlage austreten, wenn ein Toter in seinen Zähnen Amalgam-Füllungen hat. Die hochgiftige Substanz werde Gemüse, Obst und Futterpflanzen belasten, befürchten die Gegner der Anlage und fragen: »Welche Gefahr besteht durch die dauerhafte Anreicherung von Quecksilber für Grundschule, Kindergarten und Sportplätze?« Gefährdet seien die Kinder auch durch eine Zunahme des Straßenverkehrs. Nicht nur durch Leichenwagen, sondern auch durch die Autos von Angehörigen, die ihre Verstorbenen bis zur Einäscherung begleiten wollen. Bezweifelt wird im Ort, ob es bei den geplanten 1500 Verbrennungen pro Jahr bleibt. Die Bürgerinitiative glaubt, dass sich das Einzugsgebiet des Krematoriums rasch erweitert und dann immer mehr Tote dort zu Asche werden.

Skeptisch blickt die BI auf Vereinbarungen, mit denen die Stadt Lingen den Investoren einen Quecksilberfilter ebenso vorschreiben will sowie die Höchstzahl der Verbrennungen. Verträge könnten schließlich auch aufgehoben oder verändert werden, geben die Kritiker zu bedenken. Der Brögberner Ortsrat hatte den Bau abgelehnt. Doch das letzte Wort dürfte der Rat der Stadt Lingen haben. Sein Bauausschuss hat sich bereits für das Krematorium ausgesprochen. Auch gibt es von der politischen Ebene positive Signale für das Vorhaben. Beispielsweise von der CDU, die im Kommunalparlament die Mehrheit hat, und auch von der Wählergemeinschaft »Die Bürgernahen«: Sie meinen, »dass die Brögberner stolz auf eines der weltweit modernsten und saubersten Krematorien sein sollten«. Eine Gefahr für Lebensqualität, Gesundheit oder Grundstückswerte sei nicht zu sehen.

Die Bürgerinitiative sieht das anders. Sie hat eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, will gegebenenfalls juristisch gegen Ofen und Schornstein angehen. Der Ausgang der Sache wird nicht nur für Brögbern interessant sein, denn: Der Trend zur Feuerbestattung nimmt ständig zu. Wurden 2009 in Deutschland rund 40 Prozent der Verstorbenen verbrannt, sind es aktuell über 50 Prozent. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte sich auch die Zahl der zurzeit 160 Krematorien in der Bundesrepublik erhöhen. Das wiederum dürfte noch so manche Standortdiskussion anfeuern.

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