Der lange Stolperweg zum Ziel

Beim Urbanian Run klettern Parkour-Läufer über Autodächer, Baugerüste und durch Abwasserrohre - auf Zeit

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 4 Min.
Einfach nur rennen ist für sie zu öde: Parkour-Läufer suchen sich Hindernisse, die man in der Stadt sonst umgeht. Beim Urbanian Run sind Ausdauer, Kraft und Geschicklichkeit gefragt.

Mit ausgestreckten Beinen lümmelt die «Athletik Group» auf der Wiese herum. Die Sonne scheint an diesem Samstag im Berliner Reiterstadion. Auch die anderen Läufer entspannen noch. Sie alle haben sich zum ersten Berliner Langstrecken-Hindernislauf, dem Urbanian Run, angemeldet. Doch bald schon geht es los, auf die zehn Kilometer lange Piste, die gepflastert ist mit schrägen Dächern und meterhohen Mauern - insgesamt 15 Barrieren müssen überwunden werden, und zwar auf Zeit.

«Die Strecke hier ist nicht das Schwierigste», meint «Athletik»-Trainer Marcus Weber, «sondern wie man das als Gruppe schafft.» Läuferin Judith Zander scheint topfit zu sein. «Ich habe den Start zu Weihnachten geschenkt bekommen», sagt die 28-Jährige lachend. «Also hatte ich keine Wahl.» Dabei mag die Hobby-Sportlerin das Laufen nicht einmal. «Langlauf finde ich furchtbar.» Damit geht es ihr wie vielen Parkour-Läufern. «Ich kann immer kaum erwarten, dass das nächste Hindernis kommt.»

Der Urbanian Run will eine möglichst breite Gruppe ansprechen und verbindet deshalb beides: Ausdauer- und Hindernislauf. Die Barrieren sind dabei vom Parkour inspiriert. Die Sportart kam schon im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts auf. Zum Trend wurde sie aber erst in den 2000ern, als Videos das Internet eroberten: von jungen Menschen, die von Hausdach zu Hausdach, über Motorhauben und Fabrikmauern sprangen - und zwar in Renngeschwindigkeit und möglichst kreativ mit ganzem Körpereinsatz.

Einer von ihnen ist Amadei Weiland, Parkour-Vize-Weltmeister von 2008. Er ist das prominente Gesicht des Urbanian Runs - rechnet sich aber kaum Chancen aus. «Die Strecken sind beim Parkour viel kürzer», sagt Weiland, der auch Stuntman und Schauspieler ist. Es komme darauf an, möglichst flüssig die Hindernisse zu überwinden. Wird eins ausgelassen, gibt es Punktabzug. Beim Urbanian Run nicht.

«Wir sehen uns am Bierstand - der letzte bezahlt» ruft noch jemand von der «Athletik Group», bevor der erste Block startet. Die Strecke führt quer über das Olympia-Gelände: vom Reiterstadion über das Maifeld vorbei am Olympiastadion. Aber schon bei Hindernis Nummer eins ist das Team zerrissen, Judith ist eine der ersten, die sich durch den Wald aus Baugerüsten schlängelt. Die Autoreifenreihe ist für die meisten kein Problem - auch nicht der Container, auf den die Teilnehmer erst raufklettern und dann runterspringen müssen. Beim «Kraftwerk» aber hangeln sich nur wenige Läufer tatsächlich von der ersten bis zur letzten Strebe.

Nach drei Kilometern Ausdauerlauf zwischen Senken und Treppen vorbei am Waldstadion hat sich das Feld stark zerteilt. Auch zwischen den «Athletikern» wächst der Abstand. Leichtfüßig und mit sichtlichem Spaß springt Judith Zander bei Hindernis sieben von Autodach zu Autodach. Kurz dahinter wartet aber schon die die schwierigste Barriere: die Wand oder Halfpipe, auf die es einige mit viel Schwung direkt hinauf schaffen. Andere müssen die herabhängenden Seile benutzen. Und viele nehmen auch gern die Hände derer in Anspruch, die als Helfer ganz oben stehen.

Danach sind Schrägen und Hürdenlauf kaum mehr eine Herausforderung. Lucas Kempe bezwingt die Gesamtstrecke nach 39:29 Minuten als erster der rund 800 Teilnehmer. Grit Freiwald ist die erste Frau im Ziel mit 48:48 Minuten. Von der «Athletik Group» kommt eine Dreiergruppe als erste an (59:30), Judith Zander schafft eine Stunde, drei Minuten und 51 Sekunden. Zuletzt folgt Trainer Marcus Weber mit der 49-jährigen Katrin Hannig (1:25:30).

Dass Hannig es ins Ziel geschafft hat, bedeutet ihr viel: «Ich werde in einem Monat 50 - ich dachte, da muss was passieren!» Judith Zander ist die Strecke mit ihrer Schwester Elisa gelaufen. «Bei Kilometer vier hatte ich meinen Tiefpunkt - aber wir konnten uns gegenseitig motivieren.» Auch sie will nächstes Jahr wiederkommen.

Ihr Trainer aber ärgert sich: Es habe kein Anheizen im Startblock und nur einmal Verpflegung unterwegs gegeben. «Die Sanitäter hatten nicht mal Traubenzucker.» Zu wenig werde geboten für die 60 beziehungsweise 49 Euro Startgebühr für Frühbucher. «Die Hindernisse sind ein großer Abklatsch vom Urbanathlon in Hamburg», meint Weber. Ein Lauf müsse mehr bieten und vor allem einen Wiedererkennungswert haben. Er bezweifelt, dass jemand extra zu den weiteren Urbanian Runs in Dortmund, Frankfurt, Dresden oder Nürnberg fährt, um Gesamtsieger der Hindernislauf-Tour zu werden. Weber ist auch vom eigenen Team enttäuscht: «Die bekommen eine dicke Ansage!», verspricht er. Er hätte es lieber gesehen, wenn alle zusammen gelaufen wären.

Der nächste Parkour kommt sicher, und bei den meisten wird nicht die Zeit gemessen, sondern wie gut ein Team die Hürden nimmt. «Gerade da kommt es darauf an, zusammenzuarbeiten, damit es funktioniert, wenn es hart auf hart kommt. »Das heute war noch harmlos«, sagt der Profi. Beeindruckt ist Weber vom »Tough Mudder«. Der hat den Ruf, besonders herausfordernd zu sein. Niemand kommt dort ohne verschlammte Klamotten durch. »Da muss man zur Not seinen Teamkollegen Huckepack nehmen«, erklärt Weber. Darum geht es für den Trainer bei Lauf-Events: »Dem anderen das Gefühl geben, er ist an seine Grenzen gegangen und hat es geschafft - das ist das Schönste, das kann einem keiner nehmen.«

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