Liebe wird in Japan abgestempelt

Mit recht seltsamen Aktionen soll die Geburtenrate im Land wieder gesteigert werden

  • Susanne Steffen, Tokio
  • Lesedauer: 3 Min.
Um die niedrige Geburtenrate in der am schnellsten alternden Gesellschaft der Welt aufzubessern, denkt sich Japan skurrile Aktionen aus. In Nagareyama kann man seine Liebe im Rathaus »registrieren« lassen.

Fast jede Stadtverwaltung organisiert mittlerweile Singletreffs, um ihre Bürger bei der Partnerwahl zu unterstützen. Immer mit dem Hintergedanken, dass diese Beziehungen vor dem Traualtar landen und der erwartete Nachwuchs dafür sorgt, dass es auch in Zukunft noch genügend Steuerzahler gibt. Mancherorts ziehen gar städtisch beauftragte »Cupidos« durch die Nachbarschaft und nehmen allzu lethargische oder schüchterne Singles unter ihre Fittiche.

In Nagareyama am Rande Tokios können Verliebte ihre »Schmetterlinge im Bauch« offiziell registrieren lassen. Seit ein paar Wochen bietet die Stadt auf ihrer Homepage neben den Formularen zur Eheregistrierung ein Formular zur »Liebesregistrierung« an. »Tag, an dem das Liebesgeständnis geplant ist«, »Inhalt des Liebesgeständnisses«, »Orte, die ich zusammen mit ihm/ihr besuchen will« - in typischem Beamtenjapanisch erfragt die Behörde ziemlich jedes Detail. Wer das Formular online ausfüllt und einen Ausdruck ins Rathaus bringt, bekommt sogar einen Eingangsstempel.

Seine Liebe registrieren lassen kann jeder. Egal, ob verheiratet, in einer Partnerschaft oder unglücklich verliebt. Im ersten Monat nach der Einführung wurde das Dokument 10 000 Mal angeklickt; rund 4000 Liebende haben das Formular heruntergeladen. Wie viele Lieben auf diese Weise »amtlich« wurden, also den Stadtstempel erhielten, gaben die Stadtväter nicht preis. Nur wenige Dutzend sollen es sein, so Medienberichte.

Archiviert werden die hochoffiziellen Liebesgeständnisse übrigens nicht. Wer sich seine Gefühle abstempeln lässt, darf das Dokument wieder mit nach Hause nehmen - oder besser gleich der oder dem Angebeteten überreichen. »Wir hoffen, dass unser Aufruf, seine Liebe offiziell zu machen, dazu beiträgt, die Geburtenrate zu steigern«, so der Leiter der städtischen Marketingabteilung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Mit 1,41 Kindern pro Frau hat Japan eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Gleichzeitig altert die Gesellschaft so schnell wie keine andere. Bereits heute ist gut ein Viertel aller Japaner über 65 Jahre alt, bis 2035 wird offiziellen Schätzungen zufolge jeder Dritte im Rentenalter sein.

Das Interesse der Jugend an Ehe und Kindern ist so gering wie noch nie. Laut einer Umfrage des National Institute of Population and Social Security Research von 2011 sahen 81 Prozent der noch nie verheirateten Männer und 88 Prozent der unverheirateten Frauen Vorteile im Singleleben. Gut ein Viertel der befragten Singles gab sogar an, sie hätten auch kein Interesse, einen Partner zu finden.

Die Städte stöhnen unterdessen über sinkende Steuereinnahmen bei stetig steigenden Sozialausgaben für ihre Rentner. Auch in Nagareyama fürchten sich die Stadtherren vor leeren Kassen. »Jetzt leben hier viele männliche Büroangestellte. Aber wenn sich nichts ändert, wird unsere Stadt im Zuge der gesellschaftlichen Alterung zur Geisterstadt«, warnt Naobumi Oshima aus der städtischen Marketingabteilung, die das Liebesformular erfunden hat. »Wir hoffen, dass diese Kampagne unsere Stadt revitalisieren wird«, ergänzt er.

Allzu viel dürfen die Stadtherren aber wohl nicht erwarten. Zumal Liebesschwüre nur noch bis Ende Mai akzeptiert werden. Das Ganze ist nämlich auch eine Werbeaktion für eine Teenie-Liebesschnulze, die in Nagareyama gedreht wurde und Anfang Mai in Nippons Kinos kommt.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal