Eine Bombe zum Jahrestag

NSU-Prozess macht nur mäßige Fortschritte

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit einem Jahr wird am Oberlandesgericht München gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte verhandelt. Nach 110 Prozesstagen ist der Erkenntnisgewinn zu den Morden des NSU gering.

Herbert Diemer, der Chef des Anklägerteams der Bundesanwaltschaft, ist im Grundsatz zufrieden. Alles läuft zwar langsam, doch letztlich nach Plan. Es sei Aufgabe eines Strafprozesses, die in der Anklage erhobenen Vorwürfe gegen die Angeklagten zu prüfen, ihre Relevanz zu wichten und dann ein Urteil zu sprechen.

Nimmermüde wiederholt er diesen Rechtsgrundsatz gegenüber den Journalisten, die von Prozesstag zu Prozesstag mehr fürchten, dass ihre Berichte immer weniger Leser und Zuhörer finden. Auch wenn Diemer diese Nöte nachvollziehen kann, so meint er dennoch, dass ein Prozess einfach nicht leisten kann, was viele - auch viele Opferfamilien, die als Nebenkläger auftreten - erwarten. Sie wollen, dass die Motive und Hintergründe des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) besser ausgeleuchtet werden, dass deutlich wird, auf wie viel Unterstützung sich die Neonazi-Terroristen stützen konnten, wie verzweigt das Netzwerk ist, das, von rassistisch motiviertem Hass geleitet, das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft auf brutalste Art infrage stellt.

Doch davon steht so gut wie nichts in der rund 500-seitigen Anklage. Ohnehin hat man das Gefühl, dass der Prozess sich immer mehr auf die Angeklagte Beate Zschäpe konzentriert. Am Dienstag war sie unpässlich. Sie sah schlecht aus, ihr war übel. Ursache sei eine Nachricht, die sie am Morgen erhalten hat, zu der sie sich aber nicht äußern wollte, zitierte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Nachmittag einen Gerichtsarzt. Und so endete der Prozesstag am Dienstag mit einem Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpes - diesmal gegen den Gerichtsarzt. Der hatte Verhandlungsfähigkeit attestiert.

Der 39-Jährigen wird Mittäterschaft an zehn Morden, zwei Bombenanschlägen, 15 Banküberfällen vorgeworfen. Sie soll mitgeholfen haben, eine terroristische Vereinigung zu gründen. Zu der haben ihre gleichfalls aus Thüringen stammenden Lebens- und Geistesgefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehört. Die sind tot. Selbstmord, heißt es.

Zschäpe allein könnte helfen, die vielen fehlenden Mosaiksteine der mangelhaften Aufklärung herbeizuschaffen. Doch sie schweigt. Und dieses Schweigen bindet so viel mediale Aufmerksamkeit, dass dahinter die anderen vier angeklagten Männer - der einstige Jenaer NPD-Chef Ralf Wohlleben sowie die anderen mutmaßlichen NSU-Unterstützer André Eminger, Holger Gerlach und Carsten Schulze - und deren Taten fast aus dem Blick verschwinden. Jüngst hat die höchst sachkundige Gerichtsbeobachterin des »Spiegel«, Gisela Friedrichsen, Zschäpe sogar als »Sphinx« beschrieben.

Doch die Angeklagte, die nur sehr sehr selten Emotionen erkennen lässt, hat nichts Mythologisches. Und dass sie nur das »Heimchen« war, das ohne Fragen zu stellen daheim wartete, dass die Uwes von ihren Mord- und Raubtouren zurückkehrten, scheint ausgeschlossen. Indizien gibt es viele, Beweise wenig. Zumindest erwartet Zschäpe eine Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung. Sie hat im November 2011 die Wohnung des Terrortrios angezündet und damit Nachbarn in höchste Gefahr gebracht. Allein dafür kann das Gericht auf Höchststrafe erkennen: lebenslänglich. Doch das Urteil wird wohl erst Mitte kommenden Jahres fallen.

Wer gehofft hatte, dass der Prozess auch eine gesellschaftspolitische, quasi erzieherische oder womöglich auch eine abschreckende Komponente hat, muss enttäuscht zur Kenntnis nehmen: Die militante Neonaziszene in Deutschland fühlt sich nicht gebremst. Im Gegenteil. Manche zeigen ihre Missachtung des Prozesses als Zeugen in München. Sie haben zumeist riesige Erinnerungslücken. Andere zeigen öffentlich ihre Sympathie für die Angeklagten, fordern lautstark »Freiheit für Wolle« (Wohlleben).

Zudem sollte man nicht vergessen, dass in München Geschichte verhandelt wird. Die drei Neonazis waren bereits 1998 in Jena untergetaucht. Die von ihnen mutmaßlich begangene Mordserie, bei der acht türkische und ein griechischer Kleinunternehmer sowie eine deutsche Polizistin umgebracht worden waren, endete - so glaubt man - 2007.

Seither wuchs eine neue Generation Neonazis heran. Sie haben ihre Kampfmethoden verändert, agieren grenzüberschreitend, pflegen intensive Kontakte zum organisierten Verbrechen, kooperieren mit Gruppen aus der Rockerszene. Ohne dass sie unter einem wirklich wirksamen Verfolgungsdruck des Staates stehen.

Am Dienstag explodierte im thüringischen Mühlhausen ein selbstgebauter Sprengsatz. Die Polizei schließt nach bisherigen Erkenntnissen einen fremdenfeindlichen oder politisch motivierten Hintergrund aus. Die Staatsanwaltschaft sieht sich nicht zu Ermittlungen herausgefordert. Vermutlich war das ja nur wieder ein Streich dummer Jungen - am ersten Jahrestag des Prozessbeginns in München.

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