Nur die Polizei hatte keine Ahnung

Nach dem Dortmunder Rathaussturm der Nazis will Dortmunder Behörde den Schwarzen Peter loswerden

  • Marcus Meier, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Naziangriff auf die offizielle Wahlparty im Rathaus schwant manchem, dass in Dortmund nicht »nur« Linke, Punks und Migranten Opfer des rechten Mobs werden könnten.

Nach dem Sturm von rund 30 Anhängern der Nazipartei »Die Rechte« auf das Dortmunder Rathaus nach der NRW-Kommunalwahl am Sonntag nimmt die Debatte über ein Versagen der Polizei Fahrt auf. Erst nach zwanzig Minuten sei die Polizei in halbwegs hinreichender Stärke vor Ort gewesen, habe die in SA-Manier agierenden Nazis vom Tatort wegeskortiert und lasse nun die Grenze zwischen Opfern und Tätern verschwimmen, indem sie davon spreche, sie habe »zwei Personengruppen«, darunter »Linksextreme«, trennen müssen. So lauten die Vorwürfe, die in den Lokalmedien kursieren und am Mittwoch Abend auf einer von rund 500 Menschen besuchten Demonstration gegen rechte Gewalt erneuert wurden.

Der durch autonome Parolen und ebensolche Ästhetik geprägte, aber auch von grünen und linken Lokalpolitikern mitgetragene Protestzug führte bis in die Nachbarschaft von Siegfried »SS-Siggi« Borchardt im sozialen Brennpunkt Nordstadt, wo die Demonstranten »Nazis raus!«, aber auch ein halbstarkes »Wir kriegen Euch alle!« riefen.

Auf der Anti-Nazi-Demo immerhin war die Staatsmacht mit Mann und Pferd von Anfang an präsent. Polizisten nahmen die Personalien von zwei Antifaschisten auf, die einen rechten Provokateur am Wegesrand beleidigt haben sollen. Auch suchten die Beamten mit Hilfe von Fotos nach Nazigegnern, die am Wahlsonntag Straftaten begangen haben sollen. »Wo, wo, wo wart Ihr am Sonntag?«, fragten die Demonstranten ob diesem Ermittlungseifer gegen Linke lautstark.

Dass eine Naziattacke auf die sonntägliche Wahlparty bevorstand, war jedem politisch halbwegs Interessierten klar. Und zwar spätestens am Mittag des Wahltages, als »Die Rechte« (eine faktische Nachfolgeorganisation des verbotenen »Nationalen Widerstands Dortmund«) via Facebook ein Bild ihres Kommunalwahl-Spitzenkandidaten Siegfried »SS-Siggi« Borchardt verbreitete, das Kopf und geballte Faust des mehrfach verurteilten Gewaltnazis zeigte, und mit dem Spruch »Mit einem Schlag ins Rathaus« kommentierte.

Doch die Polizei zog früh ihre Kräfte von der abendlichen Politfeier ab. »Es ist schon mehr als seltsam, dass die Polizei von den Plänen der Rechten, das Rathaus am Wahlabend zu stürmen, nichts gewusst haben will.

Denn offensichtlich waren alle Parteien im Rathaus sehr gut auf den Sturm vorbereitet«, spottet die grüne Ratsfrau Ulrike Märkel. Absurd werde es, wenn Polizeipräsident Gregor Lange öffentlich frage, wer wann welche konkreten Informationen zu den Plänen der Rechten gehabt habe und dann moniere, dass dieses Wissen nicht an die Polizei weitergegeben worden sei. Profundes Wissen über rechtsextreme Umtriebe zu sammeln, sei doch Aufgabe des polizeilichen Staatsschutzes, betont die Grünen-Politikerin.

Mangels Polizisten stellten sich Lokalpolitiker von SPD, Grünen, Linkspartei und Piraten, normale Bürger und Antifas den Nazis in den Weg. »Wir hatten uns untergehakt und waren so der Gewalt der Nazis hilflos ausgesetzt. Sie schlugen rücksichtslos auf unsere ungeschützten Köpfe«, berichtete eines der Opfer der Naziattacke. Mindestens ein Glatzkopf, das belegen Fotos, sprühte Reizgas, andere Ultrarechte warfen laut Berichten mehrerer Augenzeugen mit Flaschen auf die Nazigegner.

Unter den Angreifern: »Die Rechte«-Landeschef Dennis Giemsch und der wegen Totschlags verurteilte und bereits wieder wegen diverser Gewaltdelikte vor einer Haftstrafe stehende Skinhead Sven Kahlin. Das weiß auch die Polizei, nahm sie doch die Personalien der Rechten auf, bevor sie diese nach Hause schickte. Auf Facebook werden die Nazis derweil bejubelt: »SS-Siggi« nehme es mit zehn Antifas auf, tönt ein Fan des Polit-Hooligans.

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