Ein Recht auf Vergessenwerden

Europäischer Gerichtshof (EuGH) stärkt Persönlichkeitsrechte

  • Lesedauer: 4 Min.
Viele Bürger haben Angst um ihren guten Ruf im Internet: Diese Sorge hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein wenig gedämpft.

Die höchsten EU-Richter entschieden, dass Google und andere Internet-Suchmaschinen unter Umständen zur Entfernung heikler persönlicher Informationen verpflichtet werden können. Suchmaschinen trügen eine Mitverantwortung für den Schutz des Privatlebens und persönlicher Daten. Laut EuGH-Urteil vom 13. Mai 2014 (Az. C-131/12) können Bürger sich direkt an die Betreiber wenden, um zu beantragen, dass Links zu missliebigen Infos nicht mehr in der Suchergebnisliste auftauchen.

Google entscheidet selbst, was es vergisst

Google hat auf die EuGH-Entscheidung reagiert: Wer nicht will, dass bestimmte persönliche Details über die Suchmaschine von Google gefunden werden, füllt ein Formular aus: und zwar online mit Angaben zu seiner Person und den zu löschenden Links sowie einer Begründung, warum die Inhalte nicht weiter aufzufinden sein sollen. Zur Identifizierung der Person verlangt Google die elektronische Kopie des Personalausweises. Die entsprechende Seite hat Google auf seinen Servern bereits freigeschaltet. Schon am ersten Tag gab es über 12 000 Anträge auf Löschung von Google-Links. nd

Was wurde entschieden?

Die EuGH-Richter erklärten, Suchmaschinen wie Google seien für die Einhaltung des Datenschutzes verantwortlich. Sie müssen Links, also Verknüpfungen zu anderen Internetseiten mit persönlichen Daten, nicht mehr anzeigen, wenn die Inhalte die Persönlichkeitsrechte der jeweiligen Bürger verletzen. Lehnen die Suchmaschinenbetreiber dies ab, können Betroffene die zuständigen Datenschutzbeauftragten einschalten oder klagen.

Inwiefern kann eine Suchmaschine Persönlichkeitsrechte verletzen, wenn die Infos ohnehin im Internet stehen?

Diese Frage war in dem Streit das wichtigste Argument von Google. Der EuGH betonte aber die besondere Bedeutung der Suchmaschinen für das Internet, weil sie das Netz ständig und systematisch durchsuchen. Erst durch Google und Co. finden Nutzer über eine Person umfassende Informationen aus verschiedenen Quellen. Nach Überzeugung der EuGH-Richter geht es hier um die elektronische Verarbeitung personenbezogener Daten. Daher greife das Datenschutzrecht.

Werden die betreffenden Internetseiten nun gelöscht?

Nein. Es geht in dem Luxemburger Urteil nur um die Suchmaschinen und die dort aufgeführten Links zu den Informationen. Gerade die Medien haben dagegen gewisse Sonderrechte. In diesem Sinne hat schon der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Zeitung auch sehr alte Berichte über Straftäter nicht anonymisieren oder gar aus ihrem Onlinearchiv entfernen muss. Nach dem EuGH-Urteil dürfen aber Suchmaschinen den Link zu solchen Artikeln gegebenenfalls nicht mehr anzeigen.

Werden personenbezogene Suchergebnisse zum Wunschkonzert für die Betroffenen?

Verpflichtet sind die Suchmaschinenbetreiber nur zum Löschen solcher Links, die zu einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten führen. Das können etwa Links zu alten und sehr privaten Informationen sein, an deren Verfügbarkeit heute keinerlei öffentliches Interesse mehr besteht. Dabei ist das »Recht auf Vergessenwerden« für Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens weniger stark ausgeprägt als bei normalen Bürgern.

Was haben die normalen Bürger von diesem Urteil?

Der Bürger erhält mehr die Kon-trolle über personenbezogene Informationen - selbst wenn die Daten aus öffentlichen Quellen stammen. Bisher hatte er es sehr schwer, Links löschen zu lassen, weil Google & Co bestritten haben, für die Verarbeitung von Daten zuständig zu sein. In ähnlichen Fällen gab es in der Vergangenheit lange Rechtsstreitigkeiten. Allerdings: Die Informationen wären damit nicht aus dem Netz verschwunden, sondern nur schwerer auffindbar.

Wie muss ein Betroffener nun vorgehen?

Als erstes muss er versuchen, sein Recht auf das »Vergessen« und Löschen direkt bei Google oder anderen Betreibern durchzusetzen. Kommt Google der Bitte auf Entfernen nicht nach, muss der Verbraucher sich laut Urteil bei den »zuständigen Stellen« beschweren. Das sind die nationalen Datenschutzbehörden. Bringt das keinen Erfolg, kann der Betroffene vor Gericht klagen. Rechtsexperten und Datenschützer erwarten eine Klagewelle. Die Erfolgsaussichten sind allerdings schwer abzuschätzen.

Hat der EuGH mit dem Urteil auch das klassische »Recht auf Vergessen« gestärkt?

Die EuGH-Richter in Luxemburg haben nur über Suchmaschinen und Links zu Seiten, die Dritte ins Web gestellt haben, geurteilt. Dagegen versteht man unter dem »Recht auf Vergessen« üblicherweise vor allem das Recht eines Nutzers, persönliche Daten, die er selbst ins Internet gestellt hat, entfernen zu lassen etwa Fotos oder Adressen. Die aktuelle Datenschutzrichtlinie von 1995 sieht solch ein Recht nicht vor.

Ändert sich die Datenschutzreform nun in diesem Punkt?

Das ist noch offen. Die EU-Kommission wollte vorschreiben, dass Fotos oder Adressen nach dem Löschen nirgendwo im Internet mehr auffindbar sind. Das sei nicht machbar, erklärte die Online-Branche. Stattdessen ist nun ein schwächeres »Recht auf Löschen« vorgesehen. Ein Nutzer könnte Unternehmen zwingen, ihm Auskunft über seine Daten zu geben und diese zu löschen. Die Reform, die Internetnutzern mehr Rechte an den eigenen Daten geben soll, verzögert sich immer wieder und soll 2015 stehen. dpa/nd

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