Klavierkonzerte in der Motorenhalle

Christoph Schreiber sorgt für Weddinger Salonkultur

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Anfahrt führt vorbei an Internet-Cafés, Teestuben und Schaufenstern mit glitzernder orientalischer Brautmode. Schließlich landet man auf dem Industriegelände der ehemaligen Omnibus- und Straßenbahnwerkstatt. In der einstigen Motorenbauhalle widmet sich der Arzt und Musikenthusiast Christoph Schreiber der Restaurierung alter Konzertflügel. Außerdem öffnet er die Halle mehrmals pro Woche für seinen Piano Salon Christophori. Er lädt ein zu Liederabenden, Klaviertrios oder vierhändiger Musik - Formaten also, die man seit dem Aussterben der kultivierten Hausmusik kaum noch irgendwo hört.

Die Motorenbauhalle hat sich verwandelt in eine Mischung aus Trödelmarkt und Handwerkerkeller. Historische Flügel stehen dicht an dicht; unversehrt sind die wenigsten. Einem Instrument quellen die losen Saiten aus dem Bauch; daneben liegt die hölzerne Hülle eines ausgeschlachteten Exemplars. An den Wänden hängen allerlei verzierte Notenhalter.

Christoph Schreiber werkelt tagsüber mit Hobeln, Schleifpapieren oder Schraubzwingen. Abends begrüßt er in seiner Werkstatt die Salongäste; viele von ihnen mit Handschlag oder Umarmung. Schreiber hat keine Mühe, auftrittswillige Künstler zu finden, obwohl diese hier für einen Bruchteil ihrer gewohnten Gage spielen. Es kommen Nachwuchskünstler, die im schwierigen Berliner Musikmarkt ein Bein auf den Boden kriegen wollen, aber auch international etablierte Musiker. «Diese können bei uns auch entlegenes Repertoire aufführen oder neue Programme testen», erzählt Schreiber. «Wir haben ein sehr aufmerksames Publikum, das dem Musiker eine unmittelbare Rückmeldung gibt.»

Schreiber, der abwechselnd als Neurologe und in seiner Klavierwerkstatt arbeitet, wurde per Zufall zum Konzertveranstalter. Der gebürtige Prignitzer, der seit seiner Kindheit Klavier spielt, ersteigerte eines Tages einen reparaturbedürftigen Hammerflügel. «Der Klavierbauer wollte dann für drei Handgriffe riesige Summen haben», erinnert sich Schreiber. «Also besorgte ich mir Fachbücher, schaute anderen Klavierbauern über die Schulter und restaurierte das Instrument selbst.»

Der Hammerflügel wurde zum Grundstock einer Sammlung, die heute rund dreißig bespielbare Instrumente zählt. Bald fanden sich befreundete Musiker in Schreibers Werkstatt ein. Und aus privaten Auftritten wurden öffentliche Konzerte, die Schreiber im Alleingang organisiert. «Ich mache hier alles», sagt er, «Impresario, Buchhalter, Moderator und Getränkelieferant.» Kurzerhand hat er die Abläufe vereinfacht: Der Besucher reserviert im Internet; bei Ankunft findet er seinen Namenszettel auf einem Stuhl. Am Ausgang wird gespendet.

Schreiber will vor allem den eigenen, mühsam hergerichteten Flügeln ihren Auftritt verschaffen. An einem einzigen Konzertabend kommen da auch mal drei verschiedene Instrumente zum Einsatz. Besonders mag Schreiber die älteren Exemplare der Firma Bechstein, deren obertonreichen Klang viele Klavierliebhaber dem aseptisch stählern anmutenden Steinway vorziehen. Ihm gefallen aber auch die Instrumente der französischen Firma Erard, die er als «leise, aber äußerst klangschön» bezeichnet. Sie seien «sehr durchhörbar und nah am Streichinstrument gebaut. Die Sammlung enthält weitere Raritäten wie den intimen, samtweich klingenden Flügel aus der Werkstatt von William Challen, den die BBC 1940 speziell für Kammermusik bauen ließ. »Letztlich hat jedes Instrument seine Persönlichkeit«, stellt Schreiber fest.

In der Konzertpause genehmigt sich Schreiber, in Jeans und Kapuzenpulli, ein Bier. Außerdem wirft er die brummenden Heizlüfter an, damit die Riesenhalle warm bleibt. Der Salon ermögliche eine »echte, intensive Kunsterfahrung«, stellt er fest. »Auch in der letzten Sitzreihe ist man immer noch ganz dicht dran. Deshalb läuft es wohl auch so gut. Wir haben viele Besucher, die sonst selten in Klassik-Konzerte gehen.«

www.konzertfluegel.com

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -