Ukrainer auf der Flucht

Zehntausende suchen in Russland Sicherheit

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 2 Min.
In der von Regierungstruppen und Separatisten umkämpften Ostukraine sind Hunderttausende Menschen ohne Wasser.

Über 33 000 Menschen aus der Ostukraine suchten am Donnerstag in Russland Schutz vor Bomben und Granaten. Mehr als 8000 registrierten allein die inzwischen etwa 50 Notaufnahmelager im südrussischen Gebiet Rostow am Don, das im Westen an das ukrainische Kohlerevier von Donezk grenzt. Gouverneur Wassili Golubew rief bereits in 15 Landkreisen den Notstand aus. Denn die meisten der Ankömmlinge besitzen nur noch das, was sie auf dem Leibe tragen. Sie brauchen Nahrung, Trinkwasser, Hygieneartikel, Medikamente. Und viele auch einen Psychologen. Bei den Geschichten, die sie erzählen in den Bussen, die auf der russischen Seite der Grenze warten, beißen selbst krisenfeste Berichterstatter die Zähne zusammen.

Von »Präzisionsschlägen« der ukrainischen Armee, bei denen nicht nur Häuser, sondern auch Krankenhäuser und Kindergärten in Flammen aufgehen, erzählen die Erschöpften. Und wie zuerst der Strom ausfiel, dann das Trinkwasser. Weil bei den Kämpfen eine Leitung beschädigt wurde, sind fünf Städte von der Versorgung abgeschnitten, darunter Slawjansk und Kramatorsk mit jeweils mehr als 100 000 Einwohnern. Tankwagen, die der Zivilschutz schickt, kommen unregelmäßig, in das heiß umkämpfte Slawjansk gar nicht mehr. Ganze Familien machen sich inzwischen auf den Weg, mit Fuhrwerken oder gar zu Fuß, bei mörderischer Hitze, über Schleichwege, durch die baumlose Steppe.

Die ukrainische Nationalgrade - sie besteht vor allem aus Paramilitärs des ultranationalen Rechten Sektors - hat die Grenze mehr oder minder hermetisch abgeriegelt. Angeblich, um das Einsickern von Freiwilligen zur Unterstützung der pro-russischen Selbstschutzkräfte zu verhindern. Sie ließen sogar eine notdürftig wieder flott gemachte Notfallambulanz mit dem acht Monate alten Shenja Jesekjan erst beim zweiten Anlauf passieren. Er ist permanent auf eine Lungenmaschine angewiesen und konnte daher am 30. Mai, als das Krankenhaus von Slawjansk bombardiert wurde, nicht einmal in den Schutzkeller gebracht werden. Inzwischen kämpfen Ärzte in Rostow um sein Leben. Meldungen über seinen Zustand verfolgt ganz Russland über den Nachrichtenkanal Rossija 24.

Dutzende Freiwillige sind unterwegs nach Südrussland, Familien dort haben sich spontan bereit erklärt, Flüchtlinge privat aufzunehmen und zu versorgen, bis staatliche Hilfsprogramme greifen. Das Außenamt in Moskau versucht unterdessen, Kiew von der Notwendigkeit eines zeitlich befristeten humanitären Korridors zu überzeugen, damit die Zivilbevölkerung wie im Bosnienkrieg die Krisenregion sicher verlassen kann. Die Interimsregierung sieht jedoch keinen Handlungsbedarf. Es gäbe keine Flüchtlingsströme, einschlägige Meldungen seien Desinformation, so Außenamtssprecher Jewgeni Perebeinis bei Radio Echo Moskwy.

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