Artistische Reise zu sich selbst
Der Wintergarten zeigt die fulminante Absolventengala »ARTEFEX«
Rangierte die Akrobatik früher in der Nähe des Sports, einzig auf maximale Leistung, ein Höher-Schneller-Weiter bedacht, so ist sie heute als Kunstsparte anerkannt. Sagt Ronald Wendorf, Künstlerischer Leiter der Staatlichen Artistenschule Berlin an der Erich-Weinert-Straße, nicht von ungefähr. Die tägliche Praxis beweist es. Wir legen, fügt er an, in der Ausbildung auf hohe artistische Leistung und künstlerische Präsentation wert. Unternehmen vom Circus Roncalli bis zu Salto mortale, besonders der Cirque du Soleil haben da Massstäbe gesetzt. Mit unserer Ausbildung, der einzigen staatlichen in Deutschland, betont Wendorf, können wir international mithalten.
Seit 2005 beweist die Berliner Artistenschule das öffentlich: mit der Gala ihrer Absolventen im Wintergarten. Rund 100 Studenten verschiedener Genres zeigten dort, was sie gelernt haben, dass sie damit den Zuschauer erreichen und welchen Spaß ihnen das bereitet. Die Gala im Wintergarten ist dabei »bloß« Auftakt für eine Tournee unter »Gefechtsbedingungen« durch renommierte Varietés, Jugendzentren, Sommerfestivals der Bundesrepublik, diesmal von Aschaffenburg bis Weimar. In 30 Veranstaltungen »schnuppern« sie Reisealltag, präsentieren sich vor Agenten und Veranstaltern. Das bringt erste Verträge ein und schult den Umgang mit potenziellen Auftraggebern.
Denn die Zeit des Staatszirkus mit seinen großen Nummern ist Vergangenheit. Heute sind eher kleine, flexibel einsetzbare Acts gefragt, die nahtlos in gestaltete Programme eingefügt werden können. Doch wer engagiert wird, muss im Rahmen der Gesamtshow auch tanzen, spielen und mitgestalten. Vielseitige Künstlerpersönlichkeiten haben da die Nase vorn, und hieran, so wieder Wendorf, orientiert sich die Ausbildung in der Schule. Nach obligatorischen Grundkursen spezialisiert sich jeder auf das Genre, das er mag und das ihm liegt. Manche wissen das von vornherein, anderen stehen die Pädagogen ratend zur Seite. Man dürfe Studenten nichts überstülpen, sagt der Leiter, müsse im erzieherischen Prozess herausfinden, was in ihnen liegt, dem Zuschauer glaubhaft vermittelt werden kann und auch etwas über den Menschen erzählt. Emotionale Präsenz und Entertainment nennt er die perfekte Mixtur.
Beides bringt auf beachtlichem Niveau die diesjährige Gala der Absolventen ein. Für Konzept und Regie der zweistündigen Show zeichnet Maximilian Rambaek verantwortlich, der bereits im Vorjahr für einen zündenden Abend gesorgt hat. Noch mehr setzt »ARTEFEX« auf ein komponiertes und choreografiertes Ganzes aus Akrobatik, Tanz und Spieleinlagen. Je fünf junge Frauen und Männer gehen auf eine fantasievolle Reise zu einzelnen Orten, am Ende zu sich selbst. Was während der Ausbildung einstudiert wurde, von Jonglage über Equilibristik bis Hula Hoop, gewinnt so inhaltlichen Zusammenhalt.
Zu den Absolventen gehören auch Malina Kraft & Christian Möller Stern mit ihrem Duo-Trapez. In einem bayerischen Jugendzirkus lernten sie einander kennen und bewarben sich an der Berliner Schule. Christian hatte da schon den Armeedienst als Gebirgsjäger hinter sich, war kurze Zeit Berufssoldat. Gegenüber anderen Trapezdarbietungen suchen sie durch ungewohnte Kombinationen, so mit einem Schal, nach der persönlichen Note, treten erstmals vor Publikum auf und fragen sich: Wie wirken wir, sind wir interessant genug? Ebenso geht Oscar Kaufmann voller Hoffnung auf die große Sommertour. Der Berliner entstammt einer Musikerfamilie, war zweimal in der Kinderrevue am Friedrichstadt-Palast eingesetzt und hat dort Artistikschüler gesehen: Der Traum war geboren. Worauf er sich in den fünf Jahren seiner Ausbildung mit Abitur ausgerichtet hat, gerät mittlerweile zum Trendsport. Er rollt im Cyr Wheel, einem Rhönrad mit nur einem Reifen, über die Szene, tanzt darin und auch außerhalb auf ungemein harmonische Weise. Im Internet und von Videos hat er entsprechende Tricks gelernt, probiert Weiteres selbst aus. Der sonst zappelige Oscar, die charmante Malina, der eher leise Christian und all die anderen haben nichts zu befürchten: »Ihr« Publikum wird sie mögen.
10.6. und 23.9., Wintergarten, Potsdamer Str. 96, Tiergarten, Kartentelefon 58 84 33, www.wintergarten-berlin.de
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